Kohlenplätze an der Liebmannstraße

Vor 14 Tagen hatte mich Uwe K. vom Neustädter Markt e.V. angefragt, ob ich schon mal was über einen ,,Alten Kohlenhof“ an der Hermann-Liebmann-Straße gehört hätte. Beim 10jährigen Jubiläum des Seniorenheims Leipzig-Volkmarsdorf (HL 96) hatten ihm die Leute dort erzählt, dass früher mal der „Alte Kohlenhof“ dort war, wo man Briketts bestellt hat und dann fuhren Lkw, davor Pferdewagen, los und brachten die Kohlen zu den Kunden.
Wir haben früher in Neustadt die Kohlen immer von Grabau oder Sobek aus der Luxemburgstraße bekommen – deshalb hab ich mal nachgeforscht …

1. Vorgeschichte – Prolog

Zum Umfeld des Leipziger Hauptbahnhofs gehören auch die dazugehörigen Bahnbetriebswerke, Güterbahnhöhe, Gleisanlagen, Gebäude, Brückenbauwerke, Straßen usw. Damit wurde bereits im Jahr 1902 begonnen – bis zur Eröffnung des kompletten Hauptbahnhofs sollte es noch 14 Jahre dauern. Verkehrsbauten dauern manchmal eben etwas länger.
Von diesen Baumaßnahmen waren auch die zwischen Neustadt/Volkmarsdorf und Schönefeld  liegenden Gleisanlagen betroffen. In einem Stadtplan-Ausschnitt mit dem Stand aus dem Jahr 1907 ist ein Teil dieses Umgestaltungsgebiets an der damaligen Kirchstraße [heute: Hermann-Liebmann-Straße], abgebildet. [Quelle #1]

In meinen Unterlagen habe ich außerdem die Kopie eines sehr interessanten Fotos aus dem Jahr 1906 entdeckt. [Quelle #2]
Das Bild hatte ich in den 1980er Jahren vom Schönefelder Stadtgeschichtsforscher Ernst Wohlrath erhalten. Darauf ist das Umgestaltungsgebiet mit Blick etwa von der Brandenburger Straße nach Osten zur damaligen Kirchstraßenbrücke zu sehen. Man sieht die gewaltigen Dimensionen der Landschaftsumgestaltung – ein gigantisches Vorhaben …

Auf der oben genannten Fläche an der Kirchstraße entstanden neben dem Bahnbetriebswerk Leipzig Hbf.-Süd auch mehrere Gewerbeflächen, daunter auch Kohlenplätze

2. Geschichte der Kohlenplätze

Ein erster Kohlenplatz von Gustav Behr wird bereits im Leipziger Adreß-Buch (LAB) 1905 im Bereich der Kirchstraße (Liebmannstraße) 98 (bis 102) erwähnt. [Quelle #3]
Als Eigentümer dieser Gewerbeflächen war damals der sächsische Staatsfiskus eingetragen. Die folgende Anzeige des Kohlenhändlers aus der Leipziger Volkszeitung mit den ,,weltberühmten Briketts der Marke Heureka“ ist natürlich etwas werbe-wortgewaltig. Daraus ist zumindest zu erkennen, dass der erste Kohlenplatz unter der Hausnummer Kirchstraße 100 unter der (Brand-)Kataster-Nr. 452 zu finden war.

Im  LAB des Jahres 1909 wird als Eigentümer Gustav Behr Nachf. angegeben und ab dem Jahr 1910 ist im LAB als neuer Eigentümer Oscar Schönfuß angegeben. Im ersten Jahr werden neben der Kohlenhandlung noch Möbeltransporte offeriert, später geht es nur noch um die Kohlenhandlung bzw. Kohlengroßhandlung auf dem Kohlenplatz. Gemäß dem Gewerbeverzeichnis aus dem LAB 1920 wird die Oscar Schönfuß GmbH damals bereits nicht mehr von Schönfuß, sondern den zwei Geschäftsführern geleitet

Ebenfalls im Bereich des Kohlenplatzes (Grundstück Kirchstraße 100/102 bzw. Alfred-Kindler-Straße bzw. Hermann-Liebmann-Straße) bestand ab 1920 die Kohlenhandlungsgesellschft mbH von Wilhelm Staude. Offenbar wurden die bestehenden Flächen im Bereich des früheren Katasters Nr. 452 neu umverteilt:

Links im Plan-Ausschnitt habe ich versucht, das mal visuell anzudeuten. Die neue Nr. 100 gehörte zur Kohlenhandels GmbH Staude, die Nr. 102 ab dann zur Kohlengroßhandlung Schönfuß GmbH. Neuer Eigentümer des gesamten Bahnareals mit Bahnbetriebswerk, Lokschuppen und Gewerbeflächen war inzwischen die (Deutsche) Reichsbahn geworden.

Aus einer Illustrierten Monatsschrift Leipzig 1930 habe ich (Dank an Andreas H.!) kann ich hier noch eine schöne Brikett-Anzeige der Oscar Schönfuss G.m.b.H. präsentieren. Interessant ist dabei die Brikett-Prägung mit den Buchstaben AKW. Die Briketts kommen demnach  von der Anhaltischen Kohlenwerke Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Halle (S) bzw. Berlin. Genauer gesagt aus der Grube „Elisabeth“ bei Mücheln im Geiseltal. Dort gibt es eine Brikettfabrik mit 15 Pressen, die das Zeichen: „A.K.W.“ und vierblättriges Kleeblatt verwenden. Die bis 1939 im Besitz der Familie Petschek befindliche „Eintracht AG“ wird von der „Anhaltinischen Kohlenwerke AG“, die nun der Flick-Gruppe gehört, übernommen. Das mit der Flick-Gruppe war keine gute Idee, das sollte der Schönfuß GmbH nach 1945 zum Verhängnis werden.

Aus dem LAB des Jahres 1935 geht hervor, dass der Kohlenplatz der Schönfuß GmbH um eine Fläche mit der Kataster-Nr. 452C (Kirchstraße 104) erweitert wurde. Bemerkenswert 1935: auf dem Areal am Kohlenplatz betrieb Emil Schräpler eine Eisdiele (!). Im Adreßbuch ist auch unter dem gleichen Betreiber in der Dresdner Straße 25 eine weitere Eisstube verzeichnet. Ein Eintrag im LAB 1941 weist auf das 40jährigen Firmenjubiläum der Oscar Schönfuß GmbH hin. Das gilt aber nicht für die Kohlenhandlung, sondern für seine Tätigkeit als Kaufmann ab dem Jahr 1901 wie man den Gewerbe-Verzeichnissen bzw. den Leipziger Adreß-Büchern entnehmen kann.

Im LAB 1949 wird als Eigentümer der früheren Schönfuß GmbH die Firma Sander & Unger GmbH für Brennstoffe aller Art als Nachfolger angegeben. Schaut man mal etwas genauer in die verfügbaren Unterlagen, dann findet man bei der Zentralen Deutsche Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme einen Vorgang DO 3/1138 über die Rückführung des ehemals verpachteten Betriebes Oskar Schönfuß GmbH in Leipzig als Teil des Flick-Konzerns in Volkseigentum. Oskar schreibt sich hier zwar mit ,,k“, aber es geht offenbar um die Kohlengroßhandlung aus der Kirchstraße/ab 1933: Kindlerstraße/ ab August 1945: Hermann-Liebmann-Straße.

Weil Leipziger Adreß-Bücher nur bis zum Jahr 1949 erschienen waren, kann man jüngere Recherchen am besten in den Branchen-Fernmeldebüchern der DDR durchführen – so man hat oder jemanden kennt, der hat. [Quelle #5]

Die Kohlenhandlung Staude war lt. Fernsprechbuch in der Liebmannstraße 100 bis nach 1963 ansässig, 1966 wird sie im Branchen-Fernsprechbuch nicht mehr erwähnt.
In der Liebmannstraße 102 war die Kohlenhandlung Sander & Unger vorm. Oscar Schönfuss GmbH bis nach 1950 tätig.
Ab 1952 findet sich dort das Auslieferungslager der Deutsche Handelszentrale Kohle, Niederlassung Leipzig.
Seit 1957 befindet sich dort das Lager des VEB Kohlenhandel Leipzig, Zweigstelle Ost – bis mindestens 1988.

3. Kohlen-Augenzeugen

Wir haben im Zeitraum von 1975 bis 1992 im Wohngebiet von Neustadt/Neuschönefeld gewohnt und in der Zeit unsere Kohlen  von den Kohlehändlern Grabau und Sobek aus der Luxemburgstraße bezogen. Daher kannten wir den VEB Kohlehandel in der Liebmannstraße nicht.
,,Grabau“ hat auch eine lange Kohlehändler-Geschichte aufzuweisen (1871). Ich habe in der Leipziger Volkszeitung aus dem Jahr 1905 eine alte Anzeige gefunden:

Um Kohlen zu bekommen, musste man in der Regel mit der Kohlenkarte zum Händler gehen und einen Termin vorabstimmen. An dem Tag kam dann ,,unser“ Kohlenhändler mit einem Traktor und Anhänger, später mit dem LKW zu unserem Haus gefahren. Auf dem Anhänger/der Pritsche befand sich eine Waage, mit der die Kohlensäcke gefüllt wurden. Dann ging es, nicht etwas mit dem Sack in den Kohlenkeller, sondern mit dem Sack zum Kellerfenster – dort wurde der Sack hineingeschüttet. Man war das ein Staub und Dreck! Um die Kohlen im Keller etwas zu ordnen, haben wir sie fast immer gestapelt – eine stundenfüllende Tätigkeit

#####BRIKETTS#####

Torsten K., Mail 20.11.2018:
Zum Kohlenhandel: Soweit ich mich erinnere, wurde in den 1980er Jahren nur der [VEB] Kohlenhandel auf dem Grundstück an der Schulze-Delitzsch-Straße[/Ecke Liebmannstraße] bewirtschaftet. Den Kohlenstaub, die verrußten Kohlenträger und die alten Traktoren mit ihren bis zu zwei Anhängern werde ich nie vergessen. Vorn an der Hermann-Liebmann-Straße stand ein flaches und schmutziges Verwaltungsgebäude, in einer (oder zwei?) Tordurchfahrten waren Fahrzeugwaagen im Boden eingelassen. Auf dem Gelände große Kohlehaufen, Förderbänder und mehrere blau angestrichene Kohletrichter, mit denen die Kohlen auf die Lkws geschüttet wurden. Das Grundstück daneben war m.E. leerstehend, ab und an standen dort mal ein paar Waggons der Reichsbahn (es gab ein Verbindungsgleis, welches die Schulze-Delitzsch-Straße querte). Im Erdgeschoss Hermann-Liebmann-Straße 96 war eine Kantine („buffet“?), in dem die Kohlenträger aus und ein gingen… [Quelle #6]

#####BRIKETTS#####

Ich habe in meinem Filmarchiv tatsächlich noch ein Bild von einem Kohlenplatz an der Liebmannstraße entdeckt. Es stammt aus dem strengen Winter 1987 (Januar) und ist aus Richtung Brücke runter zur Thälmannstraße aufgenommen. Die flachen Gebäude des VEB Kohlehandels sind auf der linken Straßenseite (grau in grau) gut zu erkennen, auch ein Stück Toreinfahrt. Größere Schilder sind nicht auszumachen. Rechts daneben ein Foto von etwa ähnlicher Aufnahmeposition mit einem Blick auf das im Jahr 2008 eröffneten Seniorenheim Volkmarsdorf (Liebmannstraße 98), das heute auf dem Areal der früheren Kohleplätze steht.

4. aktueller Stand – Epilog

Der Beitrag begann mit einem Bild des Bahn-Umgestaltungsgebiets an der damaligen Kirchstraße. Speziell in den letzten Jahren erfolgte nach etwas 100jähriger Nutzung ein Rückbau der Bahnanlagen im Bereich an der Liebmannstraße. Der Blick von der Hermann-Liebmann-Brücke in Richtung des früheren Bahnbetriebswerks L.-Hbf. Süd, Nov. 2018 zeigt, dass vom Bahnbetriebswerk mit seinen Gebäuden, Gleisen und den Rangierbereichen heute kaum noch was übrig geblieben ist. Die Natur hat diese Flächen zum Teil wieder in Besitz genommen …


Literatur und Quellenangaben:

Quellen #1:   Plan der Stadt Leipzig, herausgegeben vom Tiefbauamt (Ausschnitt L.-Ost), 1908 und 1929 (eigenes Archiv)

Quelle #2:   Reclams Universum, 24. Jahrgang, 1908, 2. Halbband, Leipzig

Quellen #3:    Leipziger Adreß-Bücher der Jahre 1905 bis 1949, online SLUB: http://adressbuecher.sachsendigital.de/suchergebnisse/adressbuch/Book/list/leipzig/1905/

Quelle #4:   Leipziger Volkszeitung, 10. August 1905, Seite 7, online SLUB: http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/141582/1/

Quellen #5:   Branchen-Fernsprechücher, DDR Leipzig, 1950, 1952, 1957, 1988 (Danke an Andreas Hönemann)

Quelle #6:   persönliche Mitteilung von Torsten K., Leipzig im November 2018

11 Gedanken zu “Kohlenplätze an der Liebmannstraße

  1. Mir deucht, auf diesem Gelände des Kohlehadels gab es in den 1970er einen Baustoffhandel?
    Zumindest ab ich da mal zwei Sack Zement geholt. Mit einer 125er ES + Sozius *g*.

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    • Hallo Tom, kann schon sein, dass es an an dieser Ecke auch einen Baustoffhandel gab. Die mir vorliegenden Branchen-Fernsprechbuch-Auszüge von 1988 zeigen aber, dass es im fraglichen Grundstück HL 102 den VEB Kohlehandel, Zweigstelle Ost gab. Ich habe keine Übersicht leider über die Zweigstellen des Baustoffhandels, vielleicht in der verlängerten Schulze.Delitzsch-Str.?
      Grüße

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      • gut möglich, daß es in der schulze delitzsch gewesen ist, ziemlich an der liebmann-str. . die zeit ist schnell, die erinerung blass.
        gruß

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      • Der VEB Kohlehandel war in der Herrmann-Liebmann-Str haben nebenan in der Baustoffversorgung gearbeitet

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  2. Einen Kohlehandel gab es auch im Rabet, gegenüber der Einmündung zur Comeniusstr. Das war die Fa. Pannicke. Dessen Sohn Helmut war mein Klassenkanerad.

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  3. Ich habe neben den kohlehandel in der Herrmann-Liebmann-Str. gearbeitet in der Baustoffversorgen von 1987 bis 1991 und ich kannte viele Kohlenmänner die da ihre Kohle abgehohlt haben.Es war einen geben und nehmen wir brauchten Kohle und die meisten Kohlemänner brauchten Zement.

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  4. Mein Vater war Arzt in Schönefeld und baute unser Haus mit Praxis im Jahr 1933. Ab diesem Zeitpunkt erhielten wir Brennstoffe (Koks, später Brikett) für unsere Zentralheizung bis heute (jetzt Oel) von der Firma Sobek in der Rosa-Luxemburg-Straße! Eine sehr freundliche und zuverlässige Firma!

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