alte Gaststätten in Anger

Auch schon gesehen? In einem Hinterhof an der Breiten Straße im Leipziger Osten habe ich im vorigen Monat interessante Überreste eines alten Gemäuers entdeckt, siehe Bild rechts.
Das sieht mit den großen Fenstern wie ein früherer Saal aus. Was könnte das mal gewesen sein?
Beim Recherchieren nach alten Gebäuden rings um die Hauptstraße der früheren Gemeinde Anger bin ich auf die Spur von einst bekannten und heute fast unbekannten Gaststätten gestoßen.
Davon möchte ich hier mal einen kleinen Überblick bieten. Wer will, der folge mir zu einem kurzen Ausflug in die Geschichte …

Anger-Crottendorf ist heute ein großer Ortsteil im Leipziger Osten.
Ein Teil davon gehörte früher zur alten Gemeinde Anger (ich komme am Schluss dieses kleinen Beitrags nochmals darauf zu sprechen).
Anger lag früher direkt an der Verbindungsstraße von Leipzig über Wurzen nach Dresden und darüber hinaus als östliche Handelsverbindung der VIA REGIA bis nach Kiew und Moskau. Deshalb gab es in Anger auch schon seit langer Zeit Gaststätten, von denen heute kaum noch Spuren vorhanden sind.

Auf der Skizze rechts, nach einem Plan aus dem Jahr 1879, ist der alte Ortskern von Anger mit der breiten Hauptstraße und den darum angeordneten Bauerngütern und Gaststätten zu sehen. Die Straßennummerierung beginnt unten links und verläuft im Uhrzeigersinn um den alten Dorf-Anger.
Die Hauptstraße ist später im Wesentlichen in der Breiten Straße aufgegangen.
Auf der linken Seite der Flurskizze ist oben ein Teil der Reudnitzer Chaussee-Straße zu sehen, die als Dresdner Straße (auch noch heute) nach Leipzig führt. Die Chaussee-Straße biegt nach oben in Richtung der heutigen Wurzner Straße ab. Auf diesem Straßenabschnitt ist sie zwischen Reudnitz und Anger geteilt.
Im unteren Teil der Skizze ist links ein Teil vom Täubchenweg, in der Mitte ein Teil der Hauptstraße von Anger und rechts, als östliche Fortsetzung, ein Teil der Zweinaundorfer Straße zu sehen.

In den alten Acten der Gemeindeverwaltung zu Anger-Crottendorf habe ich eine Aufstellung der zu Beginn des Jahres 1878 existierenden Gast- und Schankwirtschaften entdeckt [Quelle #1 und Hinweis unter pers. Mitteilungen].
Darin werden folgende Gastwirtschaften in Anger genannt:

  • Grüne Schenke,
  • Zu den Drei Mohren,
  • Zum Täubchen

und Schankwirtschaften:

  • Zum kleinen Kuchengarten,
  • Ritzscher (Wein- und Spirituosenhandlung),
  • Rathskeller (Carlstr.),
  • Drei Rosen und
  • Feldschlößchen.

Die Adressen und Restaurateure der (farblich markierten) Gast- und Schankwirtschaften habe ich einem Leipziger Vorort-Adressbuch aus dem Jahr 1880 entnommen (siehe auch Lageskizze oben):

Quelle #2

Im Jahr 1883 wurden die Dörfer Anger und Crottendorf zur Gemeinde Anger-Crottendorf vereinigt und schließlich zusammen mit Reudnitz im Jahr 1889 nach Leipzig eingemeindet. Das führte auch zu Straßenumbenennungen: die Chaussee-Str. (auf der Anger-Crottendorfer Seite) wurde 1889 in Wurzner Str. (wie auf der Reudnitzer Seite) und die Hauptstr. von Anger im Jahr 1901 in Breite Str. umbenannt.

Aus dem Leipziger Adressbuch für das Jahr 1908 (gut eine Generation später) habe ich folgende Adressen, Eigentümer und Gastwirte der bereits oben genannten Gaststätten ermittelt:

Quelle #3

Zwei Hinweise zur Tabelle:
1. Die in der mittleren Spalte mit ,,K.“ bezeichneten Brandkataster-Nummern (Abteilung A) stimmen mit den in der früheren Gemeinde Anger verwendeten Hausnummern der Hauptstraße überein.
2. Interessant finde ich, dass die Gaststätten Täubchen, Kleiner Kuchengarten und Drei Mohren auch in der Folgegeneration noch immer in gleicher Familienhand waren. Nur die Grüne Schenke hatte offenbar den Eigentümer gewechselt.

In Anlehnung an die obige Kartenskizze der Gemeinde Anger aus dem Jahr 1878 habe ich in den folgenden Stadtplanausschnitten aus dem Jahr 1908 und einer aktuellen OpenStreetMap(osm)-Karte versucht, das gleiche Stadtgebiet in verschiedenen Epochen zu zeigen.
Links sind die Positionen der oben genannten Gaststätten mit blauen Kreisen und Pfeilen gekennzeichnet. Aus der roten Punkt-Strich-Linie ist die alte Gemeindegrenze von Anger zu Reudnitz (links) und Crottendorf (rechts) gut zu erkennen. Im Jahr 1908 gibt es an der Einmündung der Bernhard in die Breite Str. noch einen größeren Teich und einige rot eingezeichnete Straßen- und Bebauungspläne, die nur zum Teil realisiert wurden.
Und nicht zu vergessen, kann man im Hofbereich der Breiten Str. 7 mehrere Gebäude ausmachen, von denen eines zu den eingangs gezeigten ,,alten Gemäuern“ im früheren Bereich der Gastwirtschaft ,,Drei Mohren“ gehören könnte …

_

Rechts ist auf einem Plan die aktuelle Straßen- und Gebäudesituation im Jahr 2021 dargestellt. Nachträglich habe ich die heutigen Ortsteil-Grenzen (seit der Gebietsreform aus dem Jahr 1992) mit roten Linien markiert.
Da wird faktisch die alte Dorflage von Anger in der Mitte zwischen Anger-Crottendorf und Reudnitz-Thonberg geteilt. Zwei der genannten alten Gaststätten liegen auf heutiger Reudnitzer Ortsteilseite und zwei auf der Seite des heutigen Anger-Crottendorfer Ortsteil.
Aber das ist für die heutige Situation unerheblich, weil es alle diese Gaststätten nicht mehr als Gaststätten gibt und es nur noch vereinzelt historische Reste wie auf dem eingangs gezeigten Bild zu sehen gibt.

Fazit

Zur Geschichte der alten Gaststätten von Anger ist heute kaum etwas bekannt. Online konnte ich nur ein paar wenige allgemein gehaltene Zeilen bei Wikipedia entdecken.

Was gibt es an Artikeln, Beiträgen, alten Akten oder Dokumenten über diese Gaststätten in den Leipziger Archiven zu entdecken? Wie weit reicht eigentlich deren Geschichte zurück? Und: gab es dort auch bemerkenswerte historische oder interessante Ereignisse?

Das wird sicher ein nicht ganz so einfaches Themenfeld werden.

Also demnächst mehr an dieser Stelle …


Literatur- und Quellenverzeichnis

Literatur

Wikipedia: Anger-Crottendorf (online)

Blog-Beiträge zur Gemeinde Anger:
geteilter Anger, vom Mai 2017 und
Volkmarsdorfer Pflastersteine, vom März 2017, mit der Geschichte von Wilhelm und Auguste.

Eigene Skizze der Gemeinde Anger, nach einer Flurkarte Reudnitz und Anger von F. Dietzel aus dem Jahr 1879.

Plan von Leipzig aus dem Jahr 1908, Stand Juli 1907, aus eigenem Bestand, Ausschnitt Leipzig-Ost.

Kartenausschnitt von Leipzig Ost, Breite Straße aus aktueller OpenStreetMap (osm) von 2021.

Eigenes Foto der historischen Ruine im Hof der Breiten Str. 7 vom November 2021.

Quellen

Quelle #1: Acten der Gemeindeverwaltung zu Anger-Crottendorf aus Stadtarchiv Leipzig, Nr. 92, Über den Schankwirthschaftsbetrieb, Blatt 3f. (1878) und daraus abgeleitete tabellarischen Übersicht.

Quelle #2: Adreßbuch sämmtlicher Einwohner der Vororte von Leipzig, sowie aller übrigen Gemeinden der Amtshauptmannschaft Leipzig 1880, online über Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Anger, Hauptstraße

Quelle #3: Leipziger Adreß-Buch (LAB) für das Jahr 1908, online SLUB, Breite Straße

persönliche Mitteilungen

von Frank H., Andreas H. und Fritz H. zu alten Gaststätten im Gebiet der früheren Gemeinde Anger / Anger-Crottendorf, sowie zum Thema alter Gast- und Schankwirtschaften in Sachsen.
Gast- und Schankwirtschaften unterschieden sich Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts im mitteldeutschen Raum vermutlich durch die zusätzliche Beherbergung von Gästen in den Gastwirtschaften, während in den Schankwirtschaften im Wesentlichen nur eine Bewirtung mit Speisen und Getränken erfolgte.
Vielen Dank für Eure Unterstützung!

4 Gedanken zu “alte Gaststätten in Anger

  1. Also zumindest die „Grüne Sche(ä)nke“ war meiner Großmutter und auch meinen Eltern ein Begriff – soll wohl zu den Tanzveranstaltungen damals ordentlich was losgewesen sein.
    Danke für die Erkundungen!

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  2. Ich wurde 1959 in die Richard-Wagner-Oberschule eingeschult und besuchte ab Anfang der sechziger Jahre den Schulhort. Dieser befand sich in den Erdgeschossräumen des Täubchenwegs 87 und meiner Meinung nach in den Räumlichkeiten der ehemaligen Wirtschaft „Zum Täubchen“. Der Zutritt zum Hort erfolgte über eine Pforte in der Mauer des unbebauten Grundstückes Täubchenweg 89 und eine Tür in der Giebelwand. Der kleine Hof war gleichzeitig unser Spielplatz. Ich erinnere mich an den großen Aufenthaltsraum des Hortes (ehemalige Gaststube?), einen weiteren kleinen Raum für die Erzieher sowie Toiletten und Waschräume. Mein Bruder wurde zwei Jahre später als ich eingeschult und besuchte ebenfalls diesen Hort. Vermutlich wurden die Räumlichkeiten so noch bis Ende der 60er Jahre genutzt. Seit wann er dort existierte, entzieht sich meine Kenntnis. Ein Anhaltspunkt wäre, dass in der zweiten Hälfte der 50er Jahre das System der Schulhorte in der DDR ausgebaut wurde.

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  3. Hallo Harald,
    Schon viele Jahre interessiert an Leipziger Geschichte, doch erst gestern Ihr Blog gefunden, als ich auf Kuchengarten gesucht habe. Wunderbar, und hilfreich. Wo diese Gaststätten genau waren war mir bis gestern unbekannt. Und heute beim Spaziergang sind wir einander über dem Weg gelaufen – wie ein Zufall. Ich mit ausgedruckten Bilder, Sie mit Kamera. Wenn man die Geschichte nicht aufbereitet und teilt geht sie verloren – und Motivation Sachen zu erhalten mit Ihr. Meine Freundin hat schon gemeint man sollte die alten Bilder (www.stadtmuseum.leipzig.de) eingeschweißt am Zaun hängen. VG, Jeroen

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