Reiselust 1850

In meinem Bücherregal steht auch eine alte ,,Post- und Eisenbahn-Reisekarte“ aus dem Jahr 1850. Seinerzeit wurde die Karte wegen ihrer Darstellung und den angefügten tabellarischen Übersichten in den höchsten Tönen gelobt.
Was da dran war und ist, dem möchte ich hier gern mal in einer kurzen Betrachtung interessanter Details nachgehen.

Und aktuell, nicht ganz unumstritten, sind auch heute Reisen zu Verwandten oder Bekannten mitunter auch nicht ganz so einfach …

Mein Kartenexemplar stammt eigentlich von meinem Großvater Gerhard Stein und vermutlich hat er das Exemplar auch von seinem in Mölbis, südlich von Leipzig, wohnenden Großvater Ernst Stein geerbt. Ein schönes altes Stück und handlich dazu, etwa 11 x 19 cm klein. Natürlich ist das Papier inzwischen, nach 170 Jahren, etwas gealtert. Es muss sorgsam und vorsichtig ,entfaltet‘ werden … [Quelle #1]
Schon damals wurde die Karte überall in den höchsten Tönen gelobt? – Das schaun wir uns mal an: in einer kleinen, aber aufschlussreichen

Presseschau

  • Allgemeine Zeitung, München, vom 12. März 1850
    ,,Durch die vielen Vorzüge, deren sich diese Karte erfreut, womit sich noch die eines ungewöhnlich billigen Preises vereinigen, wird Reisenden, Zeitungslesern und allen denjenigen, welche den großen Interessen der Zeitereignisse auch nur einige Aufmerksamkeit zuwenden, ein eben so empfehlenswerthes als förderliches Hülfsmittel dargeboten.
    … nebst statistischer Uebersicht der 38 Bundesstaaten, einer Eisenbahn-Tabelle mit Berechnung der Ortsentfernungen nach Stunden, der Fahrzeit nach Stunden und Minuten und des Fahrpreises …“
  • Germania, 1850
    ,,Diese Karte verdient das höchste Lob durch ihre Schönheit und Zweckmäßigkeit. Die Schrift ist ausgezeichnet scharf und fein, meist auch correct…“
    Anmerkung: in 38 deutschen Bundesstaaten (!) und … meist auch ,,correct“, das ist doch auch so eine Art ,,hülfreiches“ Lob 😉 😉 😉

Genug des Lobs, weiter geh’s zur

Kartenschau

Dazu hab ich einen Kartenausschnitt mit einem bunten Flickenteppich deutscher Länder ausgewählt: von Leipzig bis zur sächsischen Hauptstadt Dresden, mit Chemnitz, dem thüringischen Altenburg bis herunter zum bayrischen Hof.
Auf der Karte sind die neuen Eisenbahnlinien als schwarze Kästchenlinien eingezeichnet. Natürlich gibt es eine Linie von Leipzig nach Dresden, aber wenn man z.B. von Leipzig nach Chemnitz will, dann musste man damals einen großen Umweg über Riesa fahren …
Die Zahlen in den Landstraßen bezeichnen in der Karte die gegenseitigen Entfernungen der beiden zunächst liegenden Orte in deutschen Meilen. Die danebenstehenden Punkte bezeichnen Meilen-Teile: in Sachsen jeweils 1/5 Meilen, in Preußen 1/4 Meilen – oje, da muss man aufpassen. Von Leipzig nach Grimma steht als Straßenentfernung ,,3 :“ auf der Karte, also 3 2/5 Meilen oder 3,4 Meilen (das entspricht 25,5 km).

Reiselust und -Frust

Das Reisen innerhalb des Deutschen Länderbundes war Mitte des 19. Jahrhunderts eine schöne neue Welt, wenn man das nötige Kleingeld hatte. Allerdings kam man mit der Eisenbahn schneller von A nach B und auch von einem Land ins Nachbar- oder gar übernächste Land. Weil die meisten Länder in Deutschland damals noch eigene Währungen hatten, musste man natürlich die Wechselkurse immer im Blick haben. Ihr könnt ja mal unter Gulden, Reichsthaler, Zwanziger, Groschen, Sechser oder Kreuzer nachlesen oder selbst was nachrechnen …
Deshalb war auf der Reisekarte eine Währungstabelle sehr zweckmäßig, siehe Auszug unten links.

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In der Tabelle rechts sind beispielhaft die Entfernungen, Fahrzeiten und Preise der 2. Klasse für Eisenbahn-Fahrten ab Leipzig angegeben. Die Entfernung ist hier in Stunden angegeben, heute völlig unüblich. Die angegebenen Stunden sind die Entfernung zu Fuß!
Also z.B. von Leipzig nach Dresden 31 Fußstunden. Das muss heute erst mal einer laufen! Mit der Eisenbahn dauerte das allerdings nur 3 Stunden, also etwa ein Zehntel der Zeit – das war damals nahezu ein Quantensprung …

Von Leipzig nach Berlin mit der Fahrstrecke Leipzig – Halle – Köthen – Dessau- Jüterbog – Berlin dauerte die Eisenbahn-Fahrt übrigens damals 7 Stunden und 30 Minuten und kostete 3 Thaler und 20 Silbergroschen.
Nebenbei bemerkt galten in den Deutschen Bundesländern bis 1840 noch jeweils sehr unterschiedliche landesspezifische Meilenangaben:

1 Sächsische Postmeile = 2 Wegstunden. = 2000 Straßenruten ≈ 9062,08 Meter
1 Weimarer Chausseemeile = 7363 Meter (m)
1 alte Bayerische Postmeile = 33 810 bayerischer Fuß ≈ 9867,75 Meter (m)
1 Österreichische Meile = 4.000 Klafter ≈ 7585,94 Meter (m)
1 Polnische Meile = 8 533,96 Meter (m)
1 Mecklenburgische Meile = 22 500 Fuß = 6679,80 Meter (m)
ab 1840 galt zunächst in Preußen und Sachsen: 1 Deutsche (Post-) Meile = 7500 Meter. [Quelle #4]

Wer hatte da schon noch so richtig Durchblick ??? – Da musste einfach eine einheitliche deutsche Lösung her!
Erst ab 1871 wurde in ganz Deutschland das dezimale metrische System Grundlage der Längenmessungen.

Vermutung: Irgendwie scheint dieser Drang nach landesspezifischen Lösungen aber auch heute zwischen den deutschen Bundesländern noch nicht so ganz überwunden zu sein.


Quellenverzeichnis:

Quelle #1: Post- und Eisenbahn-Reisekarte von Deutschland, mit besonderer Berücksichtigung auf Eisenbahnen und Dampfschifffahrt und unter Beigabe mehrerer Tabellen von G. Hanser (kgl. bayer. Oberlieutenant), Nürnberg, Verlag von Serz & Comp., 1850

Quelle #2: Allgemeine Zeitung, München, 12. März 1850, Beilage Nr. 71, Seite 1135, online

Quelle #3: Germania, Archiv zur Kenntniß des deutschen Elements in allen Ländern der Erde, Dr. Wilhelm Stricker, Frankfurt am Main, Druck und Verlag von Heinrich Ludwig Brönner. 1850, S. 488, siehe auch Google Books (editions:PmY5WREGxgwC)

Quelle #4: Wikipedia, alte Maße und Gewichte, online

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