Zigarren aus der Ludwigstraße

ADVS.

Inzwischen habe ich versucht, etwas mehr über ,,die alte Zigarrenfabrik“ und das frühere Gebäude eingangs der Ludwigstraße im Osten Leipzigs herauszubekommen. Die Zigarrenfabrik Albert Dathmann – Vernhalm & Schmidt gab es bis in die 1960er Jahre. Ich habe auch nach alten Bildern (siehe Bild aus Filmsequenz, rechts) und den Firmengeschichten recherchiert. Darüber mehr hier im Beitrag …
Eckhaus an der Ludwigstraße
Die älteste und zugleich größte Firma auf Neustädter Gebiet war das ehemalige Sägewerk von Bäßler & Bomnitz, das hier im Gebiet seit 1857 bestand.  Nach dem Abriss des Werkes im Juli 1889 konnte man im ,,Leipziger Stadt- und Dorfanzeiger“ am 18. August lesen:
,,Geschwindigkeit ist keine Hexerei.
Kaum ist das Bäßler-Bomnitz‘sche Sägewerk geräumt, so ist das große zwischen der Eisenbahn-, Allee- und Hauptstraße gelegene Dreieck in voller Bautätigkeit. Das Areal wird von 5 Straßen durchschnitten werden, welche der Grundbesitzer beschleußen, pflastern und mit Trottoir belegen läßt. Auf den 80 Parzellen werden Tausende von Menschen Platz haben, wenn alle Baustellen erst ausgefüllt sind.“
[Dreieck – Fläche zwischen Eisenbahn-, Luxemburg- und Neustädter Straße]
Siehe auch Beitrag für das NMJ (Jan./1994, Nr. 28) unter dem Titel ,,… über ein altes Sägewerksgelände“.

In diesem Zusammenhang entstand im Jahr 1890 als Blickfang auch das Eckhaus an der Äußeren Tauchaer Straße [heute: R.-Luxemburg-Str.] als erstes neues Ludwigstraßen-Gebäude auf dem ehemaligen Sägewerksgelände. Laut dem Verwaltungsbericht der Stadt Leipzig wurde das Gebäude 1890 vollendet und baupolizeilich übernommen. Gegenstand der Bebauung war ein als Cigarrenfabrik zu nutzendes Fabrikgebäude. Dieses verfügte über 5 Etagen und hatte zusätzlich 2 Wohnungen.
Im Leipziger Adreß-Buch wurde dieses Haus im Jahr 1891 mit der Nr. 53 bezeichnet, siehe Eintrag rechts. Das kam daher, weil die alte Hausnummerierung der Ludwigstraße auf der linken Seite zwischen der Hauptstraße [heute Neustädter Str.] und Kirchstraße [heute: H.-Liebmann-Str.] beginnend mit Nr. 1 hin und auf der rechten Seite bis zur Nr. 52 zurück verlief. Für das neue Gebäude wurde einfach die nächste freie Hausnummer verwendet – die Nr. 53 ( ! ). Ab 1893 wurde die neue, heute noch übliche Haus-Numerierung in der Ludwigstraße eingeführt. Seitdem trägt das Eckhaus die Nr. 1.
Erster Eigentümer dieses Hauses wurde der Kaufmann Franz August Wilhelm Lutterbeck als Eigentümer der Cigarrenfabrik Lutterbeck und Fiedler.

Lutterbeck und Fiedler 1891 bis 1912
Die Cigarrenfabrik Lutterbeck und Fiedler gab es schon vor dem Jahr 1891.

Die Cigarrenfabrik von August Erdmann Fiedler wurde erstmalig im Leipziger Adreß-Buch für das Jahr 1852 in der Antonstr. 3 im Leipziger Osten erwähnt. Nach mehreren Umzügen befand sich die Cigarrenfabrik im Jahr 1866 in der Langen Straße 34 (auch im Leipziger Osten) und im Jahr 1868 wurde dort im Haus neben August E. Fiedler erstmalig auch Franz August Lutterbeck und die Cigarrenfabrik von Lutterbeck und Fiedler erwähnt. Das genannte Gebäude Lange Straße Nr. 34 wurde im Jahr 1885 in Nr. 29 umbenannt, es steht heute noch schön saniert am Marienplatz.
Im Jahr 1890/91 erfolgte wie schon genannt der Umzug in das neue Fabrikgebäude in der Neustädter Ludwigstraße. Besitzer war Franz August Lutterbeck, August Fiedler hatte sich als Privatmann zurückgezogen, wohnte zu der Zeit noch in der Langen Straße Nr. 33. Ab 1897 bis 1903 wird im Handelsregister der Cigarrenfabrik zusätzlich ein Procurator Hermann Lutterbeck (ein Sohn?) genannt. Ab 1904 ist dieser als Mitinhaber und ab 1905 als gleichberechtigter Inhaber angegeben. Interessant ist ein Eintrag im Adressbuch der Jahre 1903 und 1904 über eine weitere Cigarrenfabrik P. Schilling & Co. in der Ludwigstraße 1, die von einem Johannes August Lutterbeck geleitet wurde (evtl. weiterer Sohn, wohnte ja auch wie Franz August Lutterbeck in der Leipziger Marienstr.). Ab dem Jahr 1909 bis 1911 übernahm Hermann Lutterbeck die Fabrikleitung.
Weil unter der Wohnanschrift in der Schönefelder Hauptstraße im Jahr 1912 eine Ww. (Witwe) Johanna Lutterbeck angegeben ist, gehe ich davon aus, dass Hermann Lutterbeck im Jahr 1911 verstorben war. Die Zigarrenfabrik in der Ludwigstraße 1 wurde lt. Handelsregister im Jahr 1912 von Werner Matthias geleitet bzw. verwaltet. Das Geschäft wird dann im Jahr 1913 letztmalig in der Stötteritzer Sommerfelder Straße 36 H erwähnt.

Dathmann – Vernhalm & Schmidt 1913 bis etwa 1963
Die Cigarrenfabrik Dathmann wurde lt. Anzeige links, im Jahr 1872 gegründet. Der erste Eintrag im Leipziger Adreß-Buch stammt allerdings erst aus dem Jahr 1883. Damals wurde die Cigarrenfabrik von Gustav Adolph Albert Dathmann in der Reudnitzer Gemeindestraße Nr. 37, später Nr. 2 erwähnt [ab 1935 Klasingstraße, Gebäude 1943 zerstört]. Ab dem Jahr 1913 wird die Zigarrenfabrik lt. Adressbuch in der Ludwigstraße 1 erwähnt. Inhaber war Albert Dathmann, der Prokurist Gustav Petrasch.

Die Cigarrenfabrik Vernhalm & Schmidt wurde lt. Leipzigs Handels und Industrie-Adressbuch von 1899 im Jahr 1896 gegründet und ist seit 1897 im Besitz von Johann Heinrich Adolph Vernhalm, Mitinhaber war Friedrich Schmidt. Damals war die Cigarrenfabrik in der Gohliser Hauptstraße 23 [später Menckestraße 4] ansässig.
Nach dem Tod von Adolph Vernhalm übernahm Bernhard Wilhelm Ernst Schuster im Jahr 1909 die Zigarrenfabrik. Laut Adressbuch-Eintrag rechts, befand sich damit auch die Zigarrenfabrik Vernhalm & Schmidt ab dem Jahr 1913 in der Ludwigstraße 1.
Inhaber waren damals Johann Carl Friedrich Wilhelm Schuster und Ernst Gustav Petrasch (der Prokurist von der Dathmann-Fabrik).

Ab dem Jahr 1922 sind die beiden Fabriken unter dem gemeinsamen Namen Albert Dathmann – Vernhalm & Schmidt Zigarrenfabriken (ADVS) im Leipziger Adreß-Buch eingetragen. Inhaber waren damals lt. Handelsregister-Eintrag die schon genannten Carl Schuster und Gustav Petrasch als Vertreter beider Fabriken: kein Dathmann – kein Vernhalm – kein Schmidt mehr in der Firma …

Auf nebenstehendem Stadtplanausschnitt aus dem Jahr 1929 habe ich die Lage des Grundstücks Ludwigstraße 1 markiert. Interessant ist die damalige Straßenbahn-Schleife rings um diesen Wohnblock zwischen Tauchaer [heute: Luxemburg-], Busse- und Ludwigstraße. Anscheinend für E-Bahnen gedacht …
Ende der Zwanziger Jahre wurde die Leipziger Zigarrenfabrik AVDS mehrfach im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen der Belegschaft, Kurzarbeit, Streiks und Aussperrungen im Gewerkschaftsblatt ,,Tabak-Arbeiter“ erwähnt, so z.B. am 12.11.1927 auf Seite 1:

Wilder Streik oder wilde Aussperrung?
Zu den Leipziger Firmen, bei denen wilde Streiks ausgebrochen sein sollen, gehört auch Dathmann, Vernhalm und Schmidt. In Wirklichkeit kann man hier viel eher von einer wilden Aussperrung als von einem wilden Streik sprechen; denn seit 7. Oktober hat die Firma an ihren Betriebsrat folgendes Schreiben gerichtet:
Nachdem die Sortierer, Kistenmacher und Fertigmacher beschlossen haben, morgen in den Streik zu treten, sehen wir uns als Abwehrmaßnahme veranlaßt, der übrigen Belegschaft unserer Firma für
nächsten Freitag zu kündigen.

Was wurde in den Zigarrenfabriken produziert? Bekannte Zigarrenmarken von Dathmann – Verhalm & Schmidt waren:

  • Leichte Aldama [Albert Dathmann] und
  • Ehrendoktor.

Im Dezember 1943 wurde das Gebäude beim größten englischen Luftangriff auf Leipzig teilzerstört, nur der Teil zur heutigen Luxemburgstraße blieb vorerst erhalten.
Im letzten Leipziger Adreß-Buch aus dem Jahr 1949 findet man noch folgenden Handelsregister-Eintrag:
Albert Dathmann  –  Vernhalm &
Schmidt A794 Zigarrenfabriken O5
Ludwigstr 1 Fernsprecher 62681 Pers
haft Ges Barbara verw Schuster geb
Schieder u [Elsbeth Olga verw Pe-
trasch geb Richter]Prok Joseph Rauser

Offenbar waren die Witwen der vorher genannten Inhaber Carl Schuster und Gustav Petrasch nach dem Krieg die Eigentümer geworden: Frau Barbara Schuster (wohnhaft Leipzig N22, Stallbaumstr. 12) und Frau Elsbeth Olga Petrasch (wohnhaft Leipzig O29, Schwedenstr. 28).

Letztmalig wurden die Zigarrenfabriken von AVDS im Branchenfernsprechbuch der Deutschen Post des Jahres 1963 erwähnt. Der Abriss erfolgte im Sommer des Jahres 2002.

Ecken-Bilder
Ja, ich konnte noch ein paar Bilder auftreiben. Drei Stück habe ich aus einem Video-Film herauskopieren können und zwei Aufnahmen zeigen das Eckgrundstück in der Begrünungsphase nach dem Abriss.

Zuerst die Aufnahmen vom Frühjahr 1990, die ich von Peter K. [heute in Norderstedt] erhielt: Einzelbilder eines 11s Videoschnitts bei einer Fahrt mit seinem 311er Wartburg von der Rosa-Luxemburg-Straße mit Blick zum markanten Eckgrundstück Ludwigstraße 1 über die Ludwigstraße zur Bussestraße. Besonders auffallend – die bunten Trabbis auf dem linken Bild am Rand der Luxemburgstraße. Das Eckgebäude war zu diesem Zeitpunkt, soweit ich mich erinnere, noch teilweise bewohnt.
Und ja, der Film ist und die hier gezeigten Bilder sind nicht so sehr farbkräftig. Die Häuser waren damals aber wirklich mehr grau als bunt.
Dank an Peter K. in Norderstedt!

Leider konnte ich vom Gebäude Ludwigstraße 1 keine weiteren älteren Bilder auftreiben. Es gibt aber in der Deutschen Fotothek vier Bilder [siehe Quellenangabe unten] zum Anschaun.

Im folgenden zwei Aufnahmen mit Blick von der Straßenkreuzung Luxemburg-/ Ludwigstraße nach Osten.
Bild links: aus Google StreetView habe ich eine Aufnahme vom September 2008 kopiert, auf der auch gleich die Straßen zur besseren Einordung ,,ordentlich“ beschriftet sind. Der grüne Platz an der Ecke, auf dem die Ruine Ludwigstraße 1 früher gestanden hatte ist schon etwas begrünt. Die verputzte Brandmauer des Gebäudes Ludwigstraße 5 ist noch zu erkennen.

Bild rechts: habe ich an dieser Ecke vor kurze im Anfang September 2017 aufgenommen. Die Ecke ist inzwischen voll begrünt. Man kann die den verputzten Giebel des Hauses Ludwigstraße 5 kaum noch vor lauter Grün erkennen.


Quellenangaben:

  • Leipziger Adreß-Bücher (LAB), Online nachgeschlagen an der SLUB (sächsischen landes- und Universitätsbibliothek) Dresden.
  • Historische Unterlagen von Andreas Hönemann (Verwaltungsberichte der Stadt Leipzig, Publikation Leipziger Industrie von 1946, Fernsprechbücher).
  • Unterlagen aus Eigenbestand: Plan der Stadt Leipzig aus dem Jahr 1929, Zeitungsausschnitte aus der Leipziger Volkszeitung (LVZ).
  • Mein kleiner Rauchsalon, auch: Albert Dathmann, Vernhalm & Schmidt Zigarrenfabriken (ADVS), Leipzig, siehe http://mein-kleiner-rauchsalon.de/marke01_zigarren.htm
  • Deutsche Fotothek, http://www.deutschefotothek.de/, Suche nach: ,,Leipzig, Ludwigstraße 1″ ergibt vier Bilder vom Haus Ludwigstraße 1 vom Oktober 1996.

2 Gedanken zu “Zigarren aus der Ludwigstraße

    • Hallo Michael, diese Bilder hatte ich damals (2017) auch gesehen, konnte sie aber wegen der Urheberrechte nicht direkt im Beitrag verwenden. Schön wäre natürlich auch eine Ansicht vom unzerstörten gesamten Gebäude. Hat das jemand?

      Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..