Partie am Rathaus (3)

Hier im Leipziger Osten gibt’s zwar eine Bergstraße,
aber woher kommt dieser Straßenname?
Von einem Berg? – Wo soll hier bitte ein Berg sein?

Um solche Berg-Fragen soll es im Teil 3 der ,,Partie am Rathaus“ (Volkmarsdorf) gehen,
um den kleinen ,Begriffshügel‘, hier rechts im Bild,
zielstrebig abzuarbeiten …


… wir beginnen mit dem unteren Teil des ,Begriffshügels‘:

1. Volkmarsdorf, Bergstraße und namenloser Platz (eine Ansichtssache)
Auf dem ersten Bild  (rechts) geht es wieder um die alte Ansichtskarte (um 1905 …1910), die uns bereits in den letzten beiden Partie-Teilen begleitete. Auf ihr wurde das Volkmarsdorfer Rathaus aus Richtung der Bergstraße aufgenommen. Und wie man sehen kann, lagen hier auf der Bergstraße damals Straßenbahnschienen – die Roten Straßenbahnlinien ,,5″ und ,,8″ fuhren hier lang und links vor dem Rathaus sind sie in Richtung Schönefeld abgebogen. Rechts am Bildrand sind noch ein paar Bäume und ein Stück von einem grünen namenslosen Platz zu sehen.

Im aktuellen Verzeichnis der Leipziger Straßennamen mit Erläuterungen findet man unter Bergstraße als Erläuterung:
,,… Benannt nach dem Berggut, dem Hauptteil der ehemaligen Gutssiedlung Volkmarsdorf.
Frühere Namen: – Bergstraße und Borvitzstraße
Die Borvitzstraße (Reudnitz) wurde zur Bergstraße (Volkmarsdorf) gezogen. Inkrafttreten: 21.03.1893″ [Quelle #1]
Über den kleinen dreiseitigen Platz (etwa 25 m x 45 m x 45 m) ist im Namensverzeichnis natürlich nichts zu finden.

Die Bergstraße gehört heute zum Leipziger Ortsteil Neustadt-Neuschönefeld, auch der namenlose Platz.
Um darüber mehr zu erfahren habe ich mal in alten Ortsgeschichten, Zeitungen und Karten geblättert.

2. das Berggut und der Berg, um 1800
(ein erster kleiner Rückblick)
Kurz gesagt/ beklagt: zur Ortsgeschichte von Volkmarsdorf findet man erstaunlich wenige Hinweise.
Über die benachbarten Gemeinden Reudnitz oder Neuschönefeld gab es bereits zur Eingemeindungszeit (im Jahr 1890) richtige heimatkundliche Bücher – nicht so über Volkmarsdorf.

Deshalb habe ich mich in den online-Archiven der Leipziger Tagespresse in der Zeit um das Jahr 1900 umgeschaut.
Im Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 26. Juli 1901, habe ich bei der Recherche einen interessanten Beitrag zur Volkmarsdorfer Ortsgeschichte entdeckt. Er wurde von Oswald Voigt verfasst, der damals als Lehrer an der 10. Bürgerschule in der Konradstraße 67/ 69 in Volkmarsdorf unterrichtete. Zur Geschichte Volkmarsdorfs heißt es darin:
,,… Den Mittelpunkt des ländlichen Gemeinwesens bildete ehedem das Berggut, es war ein Sattelgut des Ritterguts zu Schönefeld. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts gehörte das Berggut zu Volkmarsdorf der Familie von Thümmel, 1802 ging es in den Besitz der Obristin von Kleist über und kam später an die Linie Kleist-Schmentzin.
Im Volksmund ist die Ortsbezeichnung ,Volkmarsdorf‘ weniger üblich, meist sagte man ,Berg‘ oder ,auf dem Berge‘. An die letzteren Bezeichnungen erinnern jetzt noch die Namen ,Berggut‘, ,Bergstraße‘, ,Bergschenke‘ und ,Bergplatz‘.“ [Quelle #2]

Zur Illustration soll hier eine Skizze nach der Sächsischen Meilenkarte, Blatt Leipzig aus dem Jahr 1802 dienen, Bild links. In Bildmitte ist der historische Ortskern von Volkmarsdorf zu sehen. Volkmarsdorf lag damals am nordöstlichen Ufer des Flüßchens Rietzschke, gegenüber an der südwestlichen Seite lag das Dorf Reudnitz. Der Reudnitzer Ortsteil Tietschendorf (bzw. Tietschen Dörfgen) mit dem kleinen Teich ist unten in der Skizze zu sehen. Von dort aus führt die Landstraße nach Wurzen über die Rietzschke-Brücke und eine Seitenstraße führt durch Volkmarsdorf, vorbei am Gutshof zur Kirche nach Schönefeld. Diese Seitenstraße ist zugleich die Hauptstraße von Volkmarsdorf.

Ein Blick in eine topografische Karte mit Höhenangaben zeigt, dass es von der Rietzschke-Brücken mit etwas über 111 m bis zum Platz (,,Berg“) vorm Volkmarsdorfer Berggut auf etwa 114 m üNN ,,hinauf“ geht – auf einen etwa drei Meter hohen Berg (!) Daher kommt offenbar der in der Tageszeitung erwähnte Begriff ,,auf dem Berge“ (!)
Im bereits genannten Zeitungsartikel von Oswald Voigt aus dem Jahr 1901 heißt es weiter:
,,… Von der nach Wurzen führenden Straße zweigte sich die Hauptstraße ab, sie führte von Süden nach Norden. In ihrer Mitte erweiterte sich zu einem freien Platze, dem vormaligen Dorfplatze, der heute Bergplatz genannt wird. Den Norden des Platzes begrenzten die Gebäude des Berggutes; der Platz selbst bildete eine mäßige Anhöhe, die sich nach Westen und Norden hin zur Rietzschke hinabsenkte. So kam es, daß das Berggut selbst tiefer lag als der Dorfplatz.
Nach der Rietzschke zu, die in der Hauptsache die Flurgrenze gegen Reudnitz bildete, lagen Kohlgärten und Wiesen. Das Ufer der Rietzschke war von Gebüsch, aus dem mächtige Baumriesen emporragten, umsäumt. An der Rietzschke hin führte der ,Poetenweg‘, der von der Stadt bis nach Mölkau hin führte.
Damals war Volkmarsdorf noch nicht dicht bevölkert, 1820 zählte die Ortschaft 180 Häuser, in denen 900 Einwohner gezählt wurden.“
[Quelle #2]
Noch zu erwähnen:

  • Im unteren Abschnitt der Hauptstraße zweigt eine kleine Seitengasse nach links zur Rietzschke ab. Diese Gasse grenzt die frühere wendische Siedlung ,,An der Rietzschke“ von den nördlich gelegenen Volkmarsdorfer Bauerngütern ab.
  • Ein Stück weiter in Richtung des Bergplatzes zweigt ein Feldweg in Richtung der Volkmarsdorfer Windmühlen ab, siehe auch Beitrag Brache-2.
  • Hinter dem Berggut zweigt noch die kurze Rabeth-Straße nach links ab. Sie lag unmittelbar an der Schönefelder Feldflur ,,Rabeth“.

3. Volkmarsdorf wächst, um 1875
(eine rasante Entwicklung und eine ,Schlossgeschichte‚)
Einen merklichen Aufschwung nahm die Bevölkerungsentwicklung und die Bebauung von Volkmarsdorf in den 1860er und 70er Jahren. In einem Zeitraum von sieben Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl zwischen dem Jahr 1864 mit 2.645 Einwohnern auf 5.269 bei der Volkszählung Ende 1871. Bis zum Jahr 1880 stieg die Einwohnerzahl auf 11.054, über das Vierfache innerhalb von 16 Jahren. Der Bevölkerungsschwerpunkt verlagerte sich in diesem Zeitraum vom Bergplatz vor dem Bergut zunehmend in Richtung der neubebauten Fläche um den (späteren) Volkmarsdorfer Marktplatz.
Über das Ende des Bergguts schrieb Oswald Voigt im Zeitungsartikel:
,,… Eine nähere Verbindung mit der Stadt erhielt Volkmarsdorf nach dem Brande des Bergguts; es wurde die Bergstraße angelegt, die durch die Reudnitzer Kohlgärten in die Kohlgartenstraße in Reudnitz einmündete. Die rasche Bebauung dieser Straße zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts bewies, wie vorteilhaft diese Straßenverbindung war.“ [Quelle #2]

Auf der linken Kartenskizze ist das Areal rund um den Bergplatz und das Berggut  in einer Skizze nach einer Flurkarte aus dem Jahr 1875 dargestellt.
Die eingetragenen Hausnummern entsprechen der Parzellen-Nummerierung (Flurstück-Nr.). Das Berggut trägt demnach die Nr. 45 und das links daneben gestrichelt eingezeichnete Flächen weisen auf die abgebrannten Guts-Gebäudeteile hin. Der Platz vor dem Guteingang ist als Berg bezeichnet.
In den 1880er Jahren hat der Leipziger Zeichner und Maler Heinrich Georg Drescher in seinen Skizzenbüchern auch stimmungsvolle Zeichnungen vom alten Volkmarsdorf angefertigt, darunter: ,Am Berge‘ und ,An der Rietzschke‘ vom Juni 1888. [das Bild in Quelle #3]

Und eine letzte Anmerkung von Oswald Voigt – zum sogenannten Volkmarsdorfer ,Schloss‘:

,,… Bei dieser Gelegenheit sei auch berichtet, daß zu Anfang des 18. Jahrhunderts, als der Rath der Stadt Leipzig den Reformierten die freie Religionsübung versagte, diese in Volkmarsdorf eine Zufluchtsstätte fanden. Um diese Zeit war ein Herr von Thümmel Besitzer des ,Rathsvorwerkes zu Volkmarsdorf‘, wie es genannt wurde. In seinem ,Schlosse‘, es war ein zweistöckiges Landhaus und lag am heutigen Bergplatze – jetzt Kirchstraße 37 – nahm er die Vertriebenen auf und gestattete ihnen, in seinem Hause ihren Gottesdienst halten zu dürfen, welches später auch von August dem Starken genehmigt ward.“ [Quelle #2]
4. Volkmarsdorf zwischen 1950 und heute
(was geblieben ist)
In der Kartenskizze (unten links) habe ich versucht, das Gebiet um den jetzt ,namenlosen‘ Platz in der vollen Bebauung um das Jahr 1950 herum darzustellen.
Die Hermann-Liebmann-Str. 42 war das frühere Rathaus von Volkmarsdorf, im Jahr 1950 VP- (Volkspolizei-) Revier Leipzig-Nordost.

In meinem Filmarchiv habe ich noch eine interessante Aufnahme vom August 1978 entdeckt, Bild oben rechts. Eigentlich wollte ich ein Straßenbahn-Schienenbild aus der Froschperspektive aufnehmen und habe bei dieser Gelegenheit auch den Hügel-Charakter am (namenlosen) Bergplatz gleich mitdokumentiert. Man sieht deutlich, wie die Liebmannstraße vom Platz aus nach unten Richtung (damaliger) Thälmannstr. verläuft. Übrigens: aus dieser Richtung kommt hier gerade eine ,,22“ (Richtung Klemmstraße, Connewitz) angefahren.

Heute: am (namenlosen) Platz sieht es wieder schmuck aus, auch wenn die meisten alten Häuser inzwischen abgerissen wurden. Die alten Straßenbahn-Schienen der früheren Ringlinie ,,22“ liegen noch.

Die linke Straßenseite gehört seit 1992 zum Leipziger Ortsteil Neustadt-Neuschönefeld (umfasst nahezu das gesamte frühere Volkmarsdorfer Kerngebiet) und auf der rechten Seite gehört alles zum Ortsteil Volkmarsdorf.

In der Liste der Kulturdenkmale sind aktuell folgende Häuser am Platz aufgeführt:

  • Hermann-Liebmann-Straße 29: Mietshaus in geschlossener Bebauung, erbaut 1897
    mit Tordurchfahrt, Klinkerfassade, Holzpaneele und Stuckreste in der Tordurchfahrt, baugeschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal-ID 09293605
  • Hermann-Liebmann-Straße 31: Mietshaus in halboffener Bebauung, erbaut 1883
    mit Laden, historisierende Putzfassade, baugeschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal-ID 09293606
  • Hermann-Liebmann-Straße 35: Mietshaus in halboffener Bebauung, erbaut 1882
    mit Tordurchfahrt, Putzfassade mit reicher Stuckdekoration, baugeschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal-ID 09294826
  • Hermann-Liebmann-Straße 37: Mietshaus in geschlossener Bebauung), erbaut um 1880
    historisierende Putzfassade, Windfangtür, baugeschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal-ID 09294827
  • Hermann-Liebmann-Straße 42: ehemaliges Rathaus von Volkmarsdorferbaut 1886
    im Stil des Historismus in Ecklage erbaut, repräsentative Klinkerfassade mit reicher Sand- und Kunststeingliederung, Eck-Erker und Balkon, baugeschichtlich und ortsgeschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal-ID 09263727 [Quelle #4]

 


Literatur- und Quellenverzeichnis:

  • Literatur zu Volkmarsdorf:
    – Wikipedia: Volkmarsdorf
    – academic: Volkmarsdorf
    – digitales historisches Ortsverzeichnis Sachsen, Volkmarsdorf
    – architektur-blicklicht: Sachsen, Leipzig, Ortsteil Volkmarsdorf
  • Quelle #1:   Verzeichnis Leipziger Straßennamen mit Erläuterungen, Stadt Leipzig, Dez. 2018, Bergstraße
  • Quelle #2:   Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 26. Juli 1901, S. 12, Oswald Voigt: Volkmarsdorf
  • Quelle #3:   Drescher, Georg, Zeichnungen Am Berge und An der Rietzschke, 1888, siehe Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.-Nr. D 29, GOS-Nr. gr001353
  • Quelle #4:   Liste der Kulturdenkmale in Neustadt-Neuschönefeld – Wikipedia
  • Kartenskizzen nach:
    – sächsischer Meilenkarte 1802 Leipzig,
    – Flurkarte Volkmarsdorf 1875,
    – Plan von Leipzig, um 1950,
    alle von mir gezeichnet, aus meinem Archiv
  • Bilder und Ansichtskarte: alle Bilder und Fotos im Beitrag aus meinem Archiv, Ansichtskarte von Frank Heinrich, vielen Dank!

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