Tante Rosa

Heute soll es um die Geschichte einer Stiftdose gehen, hier rechts im Bild – eigentlich eine „Stift-Tasse”.
Ein Familien-Erbstück, das mich an Tante Rosa aus Köthensdorf erinnert, über die ich heute schreiben möchte.

Auch wenn es nicht so scheint – die Tasse mit den AUDI-Ringen ist schon gut 90 Jahre alt und das „Z” im Kreis darunter hat auch nichts mit Ingolstadt oder gar Zuffenhausen zu tun.

In Folge ein paar kurzweilige und vielleicht auch für Euch interessante Familien-Episoden.
Schaut doch mal rein …

Eigentlich handelt es sich ja nicht um meine Tante Rosa. Meine Mutter hat mir als Kind immer von einer „legendären Tante Rosa” aus ihrer Chemnitzer Jugendzeit in den 1920er/30er Jahren vorgeschwärmt.
Um wen handelte es sich?
Für meine Mutter war Tante Rosa (mit ganzem Namen Lina Rosa Klose) ihre Patentante. Eigentlich ist sie die Schwester ihrer Großmutter mütterlicherseits (Auguste Lina Löser) gewesen. Das wäre also meine, sagen wir mal, Urgroßtante.
Der Einfachheit halber bleibe ich aber beim Namen Tante Rosa.

Und in der Tat, Tante Rosa hat so einiges erlebt:

1. Hochzeit in Wolkenstein

Franz Klose aus Burgstädt (nordwestlich von Chemnitz) stammend und Rosa Löser aus Wolkenstein im Erzgebirge haben im Juni 1898 in Wolkenstein geheiratet. Die Hochzeit hat damals sicher in der St. Bartholomäus-Kirche in Wolkenstein stattgefunden. Von der Hochzeitsfeier liegt mir die Kopie einer handgeschriebenen Hochzeit-Zeitung vor, siehe nachfolgende Auszüge:

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Dazu zwei Anmerkungen:

  1. Die Zeitung besteht zwar „nur” aus 10 Seiten, aber der ganze Text wurde damals handschriftlich und zum Teil farbig geschrieben. Bei etwa 10 Exemplaren kommt man da auf 100 und mehr Seiten – welche Fleißarbeit!
  2. Auf einem Blatt wird eine Junggesellen-Wohnung von Franz Klose mit einer Bettstelle in Marienberg erwähnt. Marienberg und Wolkenstein sind benachbarte Städte und ich vermute, dass sich Rosa und Franz hier oder/und dort kennengelernt hatten.

Anmerken möchte ich hier zusätzlich, dass Rosa zum Zeitpunkt der Hochzeit keine naive junge Braut war – sie war bereits Ende 20 und wusste schon genau, was sie wollte und was nicht. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass Rosa zur Hochzeit bereits einen etwa 10 Jahre alten Sohn (Carl) hatte. Ein uneheliches Kind – darüber wurde damals in der Familie nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.
Nach der Hochzeit sind beide nach Burgstädt gezogen, laut Adressbuch in die damalige Ludwig-Böttger-Str. 509. Franz war dort als Fleischermeister tätig und seine Frau hat, nach Auskünften aus dem Familienkreis, resolut auch im Fleischereigeschäft mitgewirkt.

2. Tante Rosa’s Kinder

Aus der Ehe von Rosa und Franz sind vier Kinder hervorgegangen, dazu liegen mir die Kopien der Geburtsurkunden vor. Zwei der Kinder wurden in Burgstädt geboren:

  • Herbert Franz im Januar 1900 und
  • Hellmut Erich im November 1903

Laut der mir vorliegenden Adressbücher wird die Familie Klose im Jahr 1805 nicht mehr in Burgstädt genannt, waren demnach spätestens im Jahr 1904 ins naheliegende Köthensdorf, Nr. 11 umgezogen. Dort kamen zwei weitere Kinder zur Welt:

  • ein Mädchen, dass unmittelbar nach der Geburt im Mai 1905 verstarb und
  • Erich Franz im April 1907, im Mai 1908 verstorben.

und zwei früh verstorbene Kinder 1905 und 1908.

Im September 1921 kam noch ein Patenkind für Rosa hinzu: meine Mutter Karla Thieme. Für meine Mutter war das eine gute Sache, eine resolute Patentante zu haben.

3. Die Fleischerei in Köthensdorf

Auf der untenstehenden Karte aus dem Jahr 1912 ist ersichtlich, dass Köthensdorf nur reichlich 5 km von Burgstädt entfernt lag, also gleich um die Ecke, wie man so sagt. Das Haus Nr. 11 in Köthensdorf, später Köthensdorf -Reitzenhain, war ein zweigeschossiges Landfleischerei-Gebäude mit ausgebauter Dachetage. Die Lage dieses Hauses habe ich hier auf der Karte mit einem roten Kreuz gekennzeichnet.

Franz war der Fleischermeister und bestimmte in allen Dingen, die mit Fleisch, Wurst und Aufschnitt zu tun hatten – Rosa bestimmte in diesem Hause, wo’s lang ging. Sie war aber trotzdem hier die gute Seele, wie meine Mutter mir erzählte.

Zum Haus liegen mir zwei interessante Ansichtskarten vor – beide vom Haus mit dem Fleisch- Wurst- & Aufschnittgeschäft.
Auf dem Bild links, vermutlich aus dem Jahr 1912, sind links der ältere Sohn Herbert (neben dem Pferd) mit seinem Vater Franz und davor links im Vordergrund Tante Rosa zu sehen. Hinter dem Zaun, als zweiter von rechts, steht der jüngere Sohn Hellmut. Beachtenswert ist über dem Hauseingang der große Stierkopf mit Hörnern.

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Das Bild rechts wurde im Frühjahr 1913 aufgenommen und mittels Bahnpost Chemnitz-Wechselburg Zug 1703 (laut Stempel-Inschrift) am 10.5.1913 mit Pfingstgrüßen an die Familie vom Schwager Max Meyer nach Chemnitz-Altendorf versandt.
Auf dem Bild sind, von links nach rechts, Tante Rosa, Herbert, Hellmut und im Hintergrund Franz Klose zu sehen.
Vom Stierkopf über dem Hauseingang ist hier auf dem Bild übrigens nur der Befestigungshaken zu sehen – vielleicht wurde der Kopf jährlich ausgetauscht (?)
Auch der Motorbetrieb, siehe Beschriftung am Haus, scheint damals bei Familie Klose eine große Rolle gespielt zu haben …

4. der Familien-Fuhrpark

Ja, das Fleischerei-Handwerk hatte damals schon goldenen Boden. Wenn man was davon verstand, dann konnte auch ein Mehrwert bzw. Wohlstand erwirtschaftet werden.
Schon Franz Klose hatte ein Faible für Motoren und Motor-Fahrzeuge, wie man hier im folgenden Bild sehen kann. Nach meinen Recherchen handelt es sich um einen Benz 8 / 18 PS Runabout aus dem Jahr 1911, seinerzeit noch mit Rechtssteuer.

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Interessantes Detail im rechten Bild: über dem Kühlerblock war damals nur der schlichte dreizackige Benz-Stern zu sehen.

Außerdem befanden sich im Familien-Fuhrpark noch weitere Fahrzeuge.

Hier folgend noch zwei Beispiele: links ein flottes Bild mit einem sportlichen Motorrad mit Beiwagen, gelenkt vom Hellmut und mit seiner Braut Grete im Beiwagen. Ich vermute aus dem Jahr 1929. Leider konnte ich zu Hersteller, Typ, Motor und Baujahr bisher nichts ermitteln – vielleicht kann mir da jemand weiterhelfen?

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Rechts im Bild eine große offene Limousine – ich vermute vom Typ Stoewer D 9 oder D 12 aus dem Jahr 1930 (in Stettin gebaut). Hier mit der ganzen Familie an Bord: Hellmut, Herbert / Walter, Erich / Elsa und Grete mit Elsas Sohn Johannes auf dem Schoß – immerhin sieben Personen. Auch dieses Fahrzeug hatte noch Rechtssteuer.
Jedenfalls eine tolle und volle Familienkiste!

Außerdem habe ich noch Kopien von Versicherungs-Verträge zu folgenden Fahrzeugen:

  • ein PKW vom Typ Wanderer (W22?) mit 40 PS, Baujahr 1934, Kennzeichen III 84818,
  • ein Motorrad (Kraftrad) Wanderer 743 ccm mit 5,7 PS, im Jahr 1946 mit dem Kennzeichen SC 44-48 zugelassen und
  • ein PKW vom Typ Opel P4, 1.200 ccm mit 23 PS, im Jahr 1946 mit dem Kennzeichen SF 3-83-71 zugelassen.
    Auf den Opel komme ich später (im Punkt 5) nochmals zurück.

Insgesamt ein toller Familien-Fuhrpark im Hause Klose!
Und bei den guten Beziehungen zu Auto-Werkstätten gab es ab und zu schon mal eine Werbetasse wie oben im Vorspann des Beitrags – eine Werbetasse von Auto-Union aus dem Jahr 1931 mit dem Z für den Standort Zwickau.

5. Familienbilder aus den 20ern

Die folgenden beiden Aufnahmen zeigen die Schwester Lina (Meyer) und Rosa (Klose) gegen Ende der 1920er Jahre. Links bei der Beerdigung von Franz Klose mit Rosas Söhnen Hellmut und Herbert im Hintergrund.

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Rechts ein Bildausschnitt, auf dem beide Schwestern auf dem Hochzeitsbild von Hellmut und Grete Klose zu sehen sind.
Anmerkung: Lina, meine Urgroßmutter, wohnte damals im nahe gelegenem Chemnitz.

Zusätzlich hier noch ein interessantes Bild, das am 23. April 1929 zum Schlachtfest auf dem Hof der Fleischerei Klose in Köthensdorf aufgenommen wurde.
Das Mädchen ganz vorne links ist meine Mutter Karla Thieme, links dahinter steht ihre Patentante Rosa (Klose). Rechts neben Rosa stehen Grete und Hellmut Klose mit weißen Kittelschürzen und auf der anderen Seite, rechts vom Schlachttier, stehen Herbert und Elsa Klose, ebenfalls mit weißen Kittelschürzen.
Hinter den beiden sind links mein Großvater Paul Thieme und ganz rechts im Hintergrund meine Großmutter Elsa Thieme zu sehen.
Rechts am Bildrand mit Krawatte und Schirmmütze steht der Fleisch- und Trichinenschauer Kurt Lange – ein wichtiger Mann beim Schlachtfest.

Rosa hat Ihre Verwandtschaft gern und oft nach Köthensdorf eingeladen. Das war besonders in Krisen- und Notzeiten eine segensreiche Sache. Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1930er Jahre war meine Mutter als Kind oft in Köthensdorf – im Fleischereibetrieb und seinem Umfeld brauchte niemand Hunger zu leiden. Das galt aber auch in der Zeit um das Kriegsende 1945 herum und der Nachkriegszeit.

Da gibt es noch eine ganz spezielle Geschichte …

6. ein ganz spezieller Auftrag

Zum Kriegsende im Jahr 1945 wurde die Gegend um Burgstädt, Markersbach, Taura und Köthensdorf-Reitzenhain Mitte April durch US-amerikanische Streitkräfte besetzt.
Im Mai veranstalteten die Amerikaner eine Siegesfeier und da kommt die Fleischerei der Gebrüder Klose mit ins Spiel: Fleisch- und Wurstlieferungen werden benötigt. Liefern – ja, aber die Bezahlung stellt ein fast unüberwindbares Hindernis dar. Also überlassen sie der Fleischerei einen Opel P4 als Wertausgleich.
Als die Amerikaner Anfang Juli 1945 abziehen und die Sowjetarmee ganz Sachsen und Thüringen übernimmt, wird es noch einmal kritisch wegen der Auto-Transaktion. Schließlich wird nachträglich ein vom Bürgermeister in Köthensdorf unterzeichnetes Schriftstück angefertigt und das Tauschgeschäft wurde legalisiert, siehe nachfolgendes Bild links.

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Das Bild auf der rechten Seite zeigt das Fleischereigebäude der Gebrüder Klose in den 1950er Jahren, inzwischen als Hauptstraße Nr. 28. Es wurde in den Jahren 1994/95 abgerissen. Das Grundstück wurde bis jetzt nicht wieder bebaut.

Tante Rosa hat in Köthensdorf nachweislich bis Ende der 1950er Jahre gelebt und auch im hohen Alter noch aktiv im Fleischereigeschäft der Gebrüder Klose mitgewirkt.

Eine Ergänzung möchte ich aber hier noch anfügen, es gibt in der Familie Klose …

7. noch ein Patenkind

Im Mai 1953 fand in der Leipziger Thomaskirche eine Tauffeier statt.
Zu den Taufpaten gehörte auch ein Mitglied der Familie von Hellmut und Grete Klose aus Köthensdorf: ihre Tochter Christa, hier rechts ein Foto aus dem Jahr 1967.

Um es kurz zu machen – der Täufling war ich und Tante Christa wurde meine Patentante.

Damit schließt sich gewissermaßen der Kreis von meiner Mutter zu Rosa Klose und über Christa Klose wieder zu unserer Familie.


Literatur- und Quellenangaben

Adresssbücher aus der Zeit von 1896 bis 1936, online SLUB (siehe unter Wolkenstein, Burgstädt, Chemnitz)

eigene Karten und Fotos aus Familienbestand, Stammbuch der Familie Thieme

Infos und Bilder von der 4. Sächsische Landesausstellung „Boom – 500 Jahre Industriekultur” in Sachsen, Zwickau August-Horch-Museum (Schauplatz Automobil), vom Juli bis zum 31. Dezember 2020

persönliche Mitteilungen

Erich Klose, Berlin (Nachfahre Familie Klose)

Besuch der Heimatstube des Heimatvereins Köthensdorf e.V., Schulstraße, DE-09249 Taura, Gespräch mit Herrn Andreas Hugel

Stadtbibliothek und Stadtmuseum Wolkenstein, Am Markt 13, 09429 Wolkenstein, Frau Uta Liebing

Vielen Dank für die Unterstützung und Mitarbeit!

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