Volkmarsdorfer Markt (3)

Heute möchte ich in einem dritten Teil der Frage nachgehen, wie sich das Gebiet rings um den Marktplatz von Volkmarsdorf vom Ende der „Goldenen 20er Jahre“ bis Mitte der 1980er Jahre verändert hat.

Was war aus dem von Gaststätten, Handel und Gewerbe geprägten abwechslungsreichen Umfeld des Marktes und der Lukaskirche in der Zeit zwischen der Machtergreifung der Nazis, dem 2. Weltkrieg und der DDR-Zeit geworden …?

Ernst-Thälmann-Platz

In der Tat gab es im Zeitraum von 1928 bis 1985 eine ganze Reihe von Veränderungen am früheren Markplatz von Volkmarsdorf. Das betraf einerseits ein paar Namensänderungen rings um den Platz und andererseits nicht unwesentliche Veränderungen der Gebäudesubstanz.
Aber der Reihe nach.

Namensänderungen

Was hatte sich von den Bezeichnungen der Straßen und Plätze rings um die Lukaskirche im Vergleich zum Jahr 1928 geändert?

  • Der „Volkmarsdorfer Markt“ wurde im Jahr 1933 (vermutlich am 20. April?) in „Horst-Wessel-Platz“ umbenannt. Dieser Name geht auf ein 1930 in Berlin verstorbenes NSDAP-Mitglied zurück.
  • Im Mai 1945 wurden von der US-amerikanischen Besatzungsmacht Straßen und Plätze in Leipzig, die einen NS-Bezug hatten, wieder unter den alten Bezeichnungen rückbenannt. Das galt auch für den ursprünglichen Marktplatz von Volkmarsdorf, der nun kurzzeitig (19.05.- 01.08.1945) wieder „Volkmarsdorfer Markt“ hieß.
  • Nach dem Wechsel der US-amerikanischen zur sowjetischen Besatzungsmacht wechselte der Marktplatz erneut seinen Namen. Seit dem 1. August 1945 wurde der „Volkmarsdorfer Markt“ zum „Ernst-Thälmann-Platz“ umbenannt. Der Name Ernst Thälmann erinnerte an den im Jahr 1944 im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Funktionär und sollte zugleich auch für die Stadt verpflichtend an die Traditionen der Arbeiterklasse im Volkmarsdorfer Wohngebiet erinnern.
    Anmerkung: die Kirche auf dem Platz war besonders von diesen Namens-Bezeichnungen betroffen. Während der NS-Zeit hatte sie die Anschrift: Lukaskirche, Horst-Wessel-Platz und ab August 1945: Lukaskirche, Ernst-Thälmann-Platz. Das klang, meine ich, schon sehr konfrontativ …
  • Die „Ewaldstraße“ wurde ebenfalls ab dem 1. August 1945 umbenannt – in „Dornbergerstraße“. Benannt nach Bernhard Dornberger, der im Jahr 1932 am Rande einer Demonstration gegen einen SA-Aufmarsch in der Nähe des Volkmarsdorfer Marktes erschossen wurde. Die Namensgebung erinnert an die Opfer im Kampf gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. [Quelle #2]

Gebäudesubstanz

Aus einem Status-Bericht zur Gebäudesubstanz rings um den Ernst-Thälmann-Platz im Leipziger Osten liegt mir eine ernüchternde Analyse vom Büro des Leipziger Chefarchitekten über den Bauzustand aus dem Jahr 1985 vor [Quelle #1].
Von den ursprünglich im Jahr 1928 vorhandenen 26 Gebäuden um den Platz an der Kirche waren praktisch nur noch 11 Gebäude (bis Bauzustand 3) als bewohnbar zu bezeichnen. Fünf Gebäude waren bereits abgebrochen worden und weitere fünf standen schon seit mehreren Jahren als Ruinen am Platz.
Die Ergebnisse der Analyse habe ich in folgender Skizze zusammen gestellt:

Warum sah es hier im einstigen Vorzeigeviertel der DDR-Staatsführung, dem Roten Osten Leipzigs, so schlecht aus?
Von den Luftangriffen der Alliierten war die Volkmarsdorfer Gegend im Gegensatz zu vielen anderen Leipziger Wohngebieten weitgehend verschont geblieben. Gegen Ende des Krieges, Anfang April 1945, fielen hier ein paar Bomben. Ein Teil der Kirche und das Gebäude Lukasstraße 3, gegenüber von der Kirche, wurden beschädigt. Die Ruine der Lukasstraße 3 wurde in den 1950er Jahren abgerissen.

Ansonsten geschah nur wenig zur Werterhaltung der Bausubstanz. In den 1970er und 1980er Jahren verfielen auch hier am Ernst-Thälmann-Platz immer mehr Häuser. Im Volksmund wurde das sarkastisch als „Ruinen schaffen – ohne Waffen“ bezeichnet. Zunehmend wurde die Gegend zum gruseligen Ruinenviertel.

Auf dem rechten Foto aus dem Jahr 1987 sind außer den Fassaden der Häuser der Elisabethstr. 13 und 15 auf der rechten Seite im Hofbereich auch der rückwärtige (ruinöse) Gebäudeteil vom „Kulturhaus der Eisenbahner 7. November“ der Nr. 13 zu sehen. Spitzname „Schiene“.

Von der einstigen Vielfalt mit Gaststätten, Geschäfte und Gewerke war am Ernst-Thälmann-Platz von Volkmarsdorf faktisch nichts geblieben.

Umgestaltung-Vorhaben

Vom Büro des Leipziger Chefarchitekten wurde ein weitestgehend auf Abbruch, kostengünstigen Platten-Neubau und Sanierung von wenigen Gebäuden beruhendes Projekt (Umsetzung 1985 bis 1990) vorgeschlagen. Für den nördlichen Bereich des Ernst-Thälmann-Platzes wurde neben der Gestaltung als Spielplatz auch die Aufstellung einer Thälmann-Plastik vorgeschlagen.

Zur Sanierung waren fünf Gebäude der ursprünglichen Bebauung auf der Westseite des Ernst-Thälmann-Platzes vorgesehen, darunter auch die Gebäude Elisabethstraße 13 bis 17, siehe nachfolgende Fassadenskizzen [Quelle #3].

Historisch interessant ist hier das alte Grundstück/ Gebäude Elisabethstr. 13, auf dem sich in historischer Reihenfolge die Gaststätten „Thüringer Hof“, „Kasslers Festsäle“ und das „Kulturhaus der Eisenbahner 7. November“ befanden, siehe Bild und Text oben. Meinen Unterlagen zufolge gehören Teile dieser Bausubstanz aus der Zeit vor 1880 heute zu den ältesten am Volkmarsdorfer Markt.

Anmerkungen: In der Kulturdenkmals-Liste des Landes Sachsen haben sich bei der Nennung der Gebäude in der Volkmarsdorfer Elisabethstr. 13 bis 19a, so meine ich, ein paar Unstimmigkeiten eingeschlichen, die ich an dieser Stelle richtig stellen möchte:

  • Elisabethstr. 13 und 15 sind nicht Bestandteil dieser Kulturdenkmals-Liste, obwohl sie nachweislich gegenwärtig die ältesten Gebäude am Platz sind. Insbesondere das Gebäude Nr. 13 wäre aus meiner Sicht erwähnenswert.
  • Die Gebäude Nr. 17, 19 und 19a wurden erst nach Verkauf und Abbruch der früheren Brauerei von Ferdinand Rühl im Jahr 1906 errichtet, nicht, wie in der Liste genannt, bereits im Jahr1895. [Quelle #4]
    Der Ausschnitt aus dem Stadtplan von 1906 (rechts) zeigt die Brachflächen der Brauerei F. Rühl zwischen Markt und Konradstraße auf der Westseite der Elisabethstraße.

Fazit

Der heutigen Volkmarsdorfer Markt erscheint mir so gar nicht als Zentrum eines Ortes, was ja eigentlich einen Marktplatz ausmachen sollte.
Rings um die Lukaskirche stehen viele zwar farbig gestaltete, aber doch gleichförmige sechsgeschossige DDR-Neubauten des Typs WBS70 und es sind auch noch ein paar restaurierte Altbauten zu sehen. Vor der Kirche gibt es einen Spielplatz, aber am Platz insgesamt kaum richtige Geschäfte.

Am 22. Mai 2012 wurde der Ernst-Thälmann-Platz wieder rückbenannt in Volkmarsdorfer Markt, nach dem Markt der 1890 nach Leipzig eingemeindeten Gemeinde Volkmarsdorf.


Literatur und Quellen

wortblende-Beiträge:
neue Namen brauchte das Land, vom Juli 2017
Marktplatz in Volkmarsdorf (1), vom Februar 2019,
Marktplatz in Volkmarsdorf (2), vom Februar 2020 und
Gruseliges von der Idastraße, vom Oktober 2022

Plan von Leipzig, 1906, Ausschnitt Markt von Volkmarsdorf, aus dem eigenen Archiv

GoogleEarth, Ausschnitt einer Kopie aus dem Leipziger Osten, Vogelsicht nach Norden, 2022

Quellen

  • Quelle #1:   Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung leibniz-irs.de / Wiss. Samml., Ausschnitte mit Signatur IRS_A_05_09_28-02, Karte des Bestandes, Stand Dezember 1985
  • Quelle #2:  Verzeichnis Leipziger Straßennamen, online abrufbar
  • Quelle #3:   Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung leibniz-irs.de / Wiss. Samml., Ausschnitte mit Signatur IRS_A_05_09_28-06, WK 2 Volkmarsdorf, Quartier 20, Elisabethstraße, Fassadenabwicklung
  • Quelle #4: wikipedia, Liste der Kulturdenkmale in Volkmarsdorf, u.a. Elisabethstraße, online abrufbar

persönliche Mitteilungen

Bert Hähne hat mir aus seinem Bildarchiv eine Fotokopie von baufälligen Gebäuden aus Volkmarsdorf zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um die Häuser Elisabethstr. 13 und 15 am damaligen Ernst-Thälmann-Platz aus dem Jahr 1987.
Andreas Hönemann hat mir einen Hinweis zu den BZST (Bauzustandsstufen) der DDR-Zeit geschickt, siehe Anlage rechts.

Vielen Dank für die Erlaubnis zur Nutzung hier im Beitrag!

Ein Gedanke zu “Volkmarsdorfer Markt (3)

  1. Ich möchte mich wieder mal bedanken für ihren interessanten Artikel. Ich war von 1964 bis 1974 Schüler der 16. POS, wohnte in der Hermann-Liebmann-Straße gegenüber des „Papser“ (zu ihrem Artikel über diese Gaststätte hatte ich ihnen bereits einen Kommentar geschrieben).
    Ich war oft unterwegs in der Gegend des ehemaligen Thälmann-Platzes, ging auch in die Christenlehre ins Gemeindehaus in der Juliusstraße.
    Nochmals vielen Dank!

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