Wohnungsausbau ’86

Im Jahr 1986 haben wir im Leipziger Osten eine marode Wohnung ausgebaut.

Im folgenden Beitrag möchte ich zeigen, wie es dazu kam, was damals in unserem Ausbau-Projekt möglich war (und was nicht) und was daraus schließlich geworden ist.
Zusätzlich noch ein kleiner Hinweis zur Schatzsuche.

Schaut doch mal rein …

1. Es war einmal ein Wohnungsbau-Programm …

Seit dem Jahr 1976 wohnten wir als kleine Familie in der Neustädter Schulze-Delitzsch-Straße 16. Die Mansarden-Wohnung in der 4. Etage war mit 25 m² relativ klein, hatte kein Bad und nur ein Außen-WC, das gemeinsam mit dem Nachbarn zu nutzen war – heute kaum noch vorstellbar.

Aber es sollte ja besser werden.
Bereits Ende 1973 hatte die DDR-Regierung ein weitgehendes Bauprogramm beschlossen, um bis 1990 in der DDR die Wohnungsfrage als soziales Problem zu lösen.
Für den Leipziger Osten wurde in diesem Sinne ein Generalbebauungsplan verabschiedet. [Quelle #1]

In dem Zusammenhang wurde auch die hier links eingefügte Skizze einer Beispielplanung des Leipziger Ostens publiziert, in der folgende Ersatzneubauten (schraffierte Flächen) vorgesehen waren:

  • Rosa-Luxemburg-Straße 1400 WE (Wohneinheiten)
  • Kreuzstraße 600 WE
  • Volkmarsdorfer Markt und Neustädter Markt 3100 WE
  • Sellerhausen 800 WE
  • Feldstraße 500 WE

In dieser Skizze habe ich nachträglich die Ortsbezeichnungen ergänzt und farblich hervorgehoben. Außerdem habe ich die Lage unserer Wohnungen in der Schulze-Delitzsch-Str. 16 (SDS 16) und später in der Neustädter Str. 18 (NStr 18) mit einem roten Kreis markiert.

Unsere Wohnung (SDS 16) lag demnach in einem zur Neubebauung vorgesehenem Areal – Grund zur Hoffnung. Wie hieß es so schön in einem Liedtext von Reinhard Lakomy aus der damaligen Zeit:

„Das Haus, wo ich wohne, das steht nicht mehr lang‘,
Es gibt ja bekanntlich ein Neubauprogramm.
Bis 1990, so sagt die Partei,
Sind wir alle wohnraumsorgenfrei.
[Quelle #2]

Na, toll! Und Lacky, ich seh‘ dich noch schmunzeln – das glaubten ja nur die wenigsten …

Spätestens nach dem harten Winter 1978/79 zeigte sich aber, dass die DDR das Wohnungsbauprogramm nicht in der beabsichtigten Form durchführen konnte. Zur Umsetzung fehlte es an Geld, Material und Arbeitskräften.
Anfang der 1980er Jahre wurden der geplante Ersatzneubau von 800 WE im Bereich des Neustädter Marktes in eine Aktion für „sichere, trockene und warme Wohnungen“ umgewandelt. Damit war für uns klar – hier passiert für uns und unsere Wohnqualität nichts mehr.

2. Auf in den Ausbau-Alltag

Als sich dann noch Nachwuchs ankündigte, haben wir Eigeninitiative ergriffen und uns nach einer machbaren Wohnungsausbau-Alternative umgesehen.
Im zweiten Anlauf haben wir für den 17. Dezember 1985 eine Besichtigungskarte vom Rat des Stadtbezirks Mitte, Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft für eine Wohnung in der Neustädter Str. 18, II re. erhalten:

Sie werden gebeten und sind berechtigt, sich die Wohnräume Neustädter Str. 18 anzusehen

Haben wir getan. In der folgenden Abbildung links ist der Eingangsbereich des Hauses Neustädter Str. 18 kurz nach der Ecke zur [damaligen] Ernst-Thälmann-Str. zu sehen. Der Hauseingangs-Bereich lag zu dieser Zeit in der Gebäudemitte, unmittelbar neben einem Obst- und Gemüse-Geschäft [heute gibt es nur noch einen Hofdurchgang an der linken Gebäudeseite].

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Am 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten 1985 haben wir zugestimmt und unser Ausbau-Projekt gestartet.
Die Wohnung war in einem schlechten Erhaltungszustand. Im Jahr 1984 hatte es in der darüberliegenden Wohnung einen Feuerwehreinsatz mit reichlich Löschwasser gegeben. Die dadurch entstandenen Nässeschäden im Wand- und Deckenbereich waren erheblich.
Aber, die Wohnung war phänomenale 85,3 m² groß, hatte 4 Zimmer, Küche und Bad mit IWC. Und die Räume waren stattliche 3 Meter hoch …
Das Bild vom Anfang Januar 1986 rechts zeigt den bereits schutt-beräumten etwa 7,5 m langen Flur.

Ausbau-Galerie
Beispiel Wohnzimmer, 20,4 m² (Bild-Reihenfolge: 1-oben links Ursprung, 2, 3, 4, 5-unten links Finale)

Ich möchte Euch hier nicht mit dem ganzen Ausbau-Alltag langweilen, sondern nur kurz ein paar Eckdaten zum Projekt und Wohnzimmer-Ausbau nennen.

Täglich waren wir nach der Arbeitszeit, Heizen, Einkaufen, Kinder versorgen wochentags etwa ab 18 Uhr und am ganzen Wochenende auf der Baustelle. Dort war außer der Koordinierung der Elektriker, Ofenbauer, Klempner, Glaser, Maurer und hilfreicher Freunde noch etwa 250 Stunden an Zuarbeiten erforderlich.
Vielen Dank an alle Helfer und Unterstützer!
Dazu kamen nochmals etwa 230 Stunden für Maler- und Tapezierarbeiten für Wände, Decken, Türen und Fenster – zusammen arbeitsreiche 480 Stunden für alles, was machbar war.

Was nicht machbar war, bzw. wo uns die Beziehungen fehlten:

  • 5 Doppelfenster zur Hofseite – die mussten bis 1990 unisoliert und einfach bleiben,
  • neue Fußböden, z.B. Parkett – da half nur Abbeizen und ein grundlegender Neuanstrich,
  • leider gab’s für die drei neuen Stromkreise kein Kupferkabel – es gab nur Alu-Kabel,
  • keine Anschlussgenehmigung für Gasheizung – es reichte nur für 3 transportablen Öfen (sie Schreiben unten links) und
  • ein Telefonanschluss war auch nicht machbar (Schreiben unten rechts).
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Ein brisanter Punkt: die Anlieferung von 4 Tonnen frischen (nassen) Sand für die Maurer- und Verputzarbeiten.
Der Sand wurde am Mittwoch, dem 5. Februar, nachmittags bei – 10 °C vorm Hauseingang zur Neustädter Straße abgekippt und musste dann mit 10-Liter-Eimern besonders wegen der Kälte zügig in die zweite Etage hochgetragen werden. Zum Glück haben mir mein Freund Eckart und die Nachbarjungs dort im Haus geholfen. Anfangs ging das mit der Schaufel draußen noch ganz gut, später brauchten wir für die gefrorenen Blöcke eine Axt. Wir waren froh, als wir im Dunklen gegen 21 Uhr alles oben hatten – mitten auf dem Wohnzimmerboden(!), siehe Sandhaufen-Reste auf Bild 3, oben in der Galerie.
An die Statik habe ich erst hinterher gedacht, ohje … Zum Glück war das Haus (offenbar) solide gebaut worden.

Ein besonderes Thema war das Zumauern der 3. Wohnzimmertür, für uns eine überflüssige Tür zuviel, …

3. die „Tschernobyl“-Tür

Die dritte Wohnzimmer-Tür, zwischen Wohn- und Kinderzimmer, wollten wir beim Ausbau einsparen. Dazu hatten wir 100 Ziegelsteine per Bezugsschein vom Bauhof anliefern lassen und im Kinderzimmer neben der Tür aufgestapelt, siehe Foto unten links.

Anfang April haben die Maurer diese Türöffnung zugemauert. Der Deck-Putz ist dann mit Ziegeldraht Ende April/ Anfang Mai dort drauf gekommen, siehe auch Bild 4, oben in der Galerie 4. Im Mai habe ich dort auf die frische Putzfläche der zugesetzten Tür zur besseren Haftung mehrere Lagen Zeitungspapier geklebt.
Zu dem Zweck habe ich die Wochenendausgabe des Neuen Deutschland vom 10./11. Mai 1986 verwendet. Auf den betreffenden, aufgeklebten Seiten wurde von den Eröffnungsetappen der 39. Internationale Friedensfahrt berichtet, die vom 6. bis 22. Mai 1986 ausgetragen wurde. Sie führte 14 Einzeletappen mit einer Gesamtlänge von 2138 km erstmals von Kiew über Warschau und Berlin nach Prag.

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Die ersten vier Etappen fanden in Kiew bzw. seiner Umgebung statt. Und das war schon ein sehr heikles Thema, weil sich zehn Tage vor dem Start der Friedensfahrt etwa 100 km nördlich von Kiew die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignet hatte. Neun Mannschaften hatten daraufhin ihre Teilnahme am Straßenrennen abgesagt, darunter auch Rumänien und Jugoslawien. Das Starterfeld war bei Rennbeginn von 114 auf 64 Fahrer zusammengeschrumpft, mit Frankreich und Finnland entsandten nur noch zwei nicht-sozialistische Staaten eine Mannschaft. Trotz erheblicher gesundheitlicher Risiken wurde der Ort des Starts nicht verlegt. Die Informationen über das Ausmaß des Unglücks flossen generell spärlich. Das sieht man auch in der kurzen Pressenotiz, die am 29. April 1986 im Neuen Deutschland, vier Tage nach der Havarie, erschienen war, im Bild oben rechts.
Die Fahrt hatte damals übrigens Olaf Ludwig aus der DDR gewonnen. [Quelle#3]

Vielleicht ist das auch ein Thema für Historien-Schatzsucher – ich hab da schon mal vor 36 Jahren schon mal was vorbereitet … 😉

4. Einzug

Am Montag, dem 7. Juli 1986, war es dann endlich so weit.

Die Möbel, die Umzugskisten und aller Krimskrams wurden vom VEB Kraftverkehr Leipzig verladen und das kurze Stück von der Schulze-Delitzsch- zur Neustädter Straße um die Ecke transportiert.

Gegen 11 Uhr stand alles in unserer neuen, großen, frisch gemalerten Wohnung und wir konnten mit Fug und Recht gemeinsam mit unseren Kindern und Freunden stolz auf unseren gelungenen Einzug anstoßen.


Quellenverzeichnis

Quelle #1: Architektur der DDR, Heft 6/1977, S. 328 bis 330, Generalbebauungsplan der Stadtregion Leipzig

Quelle #2: Reinhard Lakomy, Auszug Liedtext: Das Haus, wo ich wohne, 1974

Quelle #3: Wikipedia, Internationale Friedensfahrt 1986, online

sonstiges

diverse Zeitungsausschnitte, Dokumente und Unterlagen aus persönlichem Bestand

Fotos aus meinem privaten Archiv

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