Schatzsucher

In der Zeit zwischen den Jahren möchte ich mich heute mit Euch auf eine Schatzsuche in den Leipziger Osten begeben.

Die Rauhnächte zwischen Weihnachten und Hochneujahr bieten ja so richtig eine Bühne, um hier einer etwas skurrilen bis mysteriösen Geschichte aus dem Jahr 1853 auf den Grund zu gehen.

Waren da geheime Akten verschwunden oder war das alles nur ein Scherz?
Dem möchte ich im folgenden kleinen Beitrag nachgehen …

Zuerst habe ich nach diesem Schatz aus dem früheren Dorf Anger im digitalen Archiv des Freistaates Sachsen nachgeschlagen.
Das Ergebnis sah so aus [Quelle #1]:

Diesem Eintrag aus dem Hauptstaatsarchiv in Dresden habe ich zwei interessante Punkte entnommen:

  1. Die Unterlage mit der Archivalien-Signatur Loc. 09718/25 des Geheimen Rates aus einem Geheimen Archiv in Dresden (oder vielleicht an einem geheimen Ort) gibt es leider nicht mehr, sie wird jedenfalls als verschollen (Kriegsfolge) ausgewiesen.
  2. Es geht hier geht es um einen Schatz im Ratsteich zu Anger aus dem Jahr 1853.

Zuerst zum zweiten Punkt – wo lagen eigentlich der bzw. die Rathsteiche im früheren Dorf Anger? Dazu habe ich hier eine Skizze und einen aktuellen Kartenauszug aus OpenStreetMap angefügt. Links eine Skizze vom nördlichen Teil der Flur Anger aus dem Jahr 1837, aus dem die Lage der beiden Ratsteiche ersichtlich wird: links der kleine und rechts der große Raths-Teich.

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Von den beiden Teichen ist heute nichts mehr zu sehen. Man kann aber aus der Lage des Ramdohrschen Parks erahnen, wo die Teiche etwa angelegt waren.
Und ich nehme an, dass der kleine Raths-Teich heute zum Teil von der rechten Straßenseite der Breiten Straße überdeckt wird.

Na gut, das hilft aber in der Schatzsuche noch nicht so richtig weiter.

Also zurück zum ersten Punkt. Auf der Suche nach den verschwundenen Akten habe ich mich im vorigen Jahr ins Leipziger Stadtarchiv begeben und habe dort in den Akten des Rathslandgerichts Leipzig recherchiert.
Und – was soll ich sagen – dort gibt es eine (nicht geheime) Akte zu einem Vorgang „Joseph Vincenz Xaverius gegen den Gutsbesitzer Friedrich Wilhelm Winter wegen Aufsuchung eines s.g. Schatzes im kleinen Rathsteiche in Anger“ aus dem Jahr 1853(!!!). [Quelle #2]

Im Folgenden möchte ich mit Euch einen kleinen Einblick in diese mit 11 beidseitig original per Hand mit Tinte beschriebenen Blättern geben.

Im ersten Akteneintrag vom Juli 1853 steht:

Leipzig, am 6. Juli 1853
erschien freiwillig im Rathslandgericht Hr. Joseph Vincenz7 Xaverius Faggi, Bürger und Conditor allhier, wohnhaft in Anger, angeblich 51 Jahre alt und erstattete zu einer nichtgemäßen Aussage [nunmehr?] folgende Anzeige:

Im vorigen Sommer habe ich im s.g. kleinen Rathsteiche in Anger beim Vorübergehen mehrere Anzeigen Wahrgenommen, welche mich zu der Überzeugung brachten, daß in dem Teiche ein werthvoller Gegenstand, bestehe derselbe in Geld, Münzen, Gold, Silber oder Edelsteinen, also ein s.g. Schatz verborgen sein müßte.

Diese Anzeigen bestanden in drei verschiedenen Erscheinungen:

  1. die Fische im Teiche schwammen sämmtlich nach einer Stelle zu
  2. an dieser Stelle theilte sich zum wiederholten Male das Wasser und es schlugen Flammen empor.
  3. Ich bemerkte eines Abends vom Fenster meiner Wohnung aus, von welchem ich den Teich übersehen konnte, daß 2 Personen in alterthümlicher Tracht … einen länglichen Kasten in dem Teich versenkten.
Anmerkung - wer war dieser Herr Faggi?
Aus dem Leipziger Tageblatt konnte ich ermitteln, dass Herr Joseph Vincenz Xaverius Faggi im Dezember 1852 das Leipziger Bürgerrecht erworben hatte. Laut einer Bekanntmachung in der Leipziger Zeitung vom April 1853 wurde unter neuentstandene Firmen auch sein „Conditoreiwaaren- u. Zuckerbäckereigeschäft“ erstmals erwähnt. Im Leipziger Adressbuch (LAB) erfolgte eine erste Erwähnung in der Ausgabe auf das Jahr 1854 und weiter bis letztmalig in der Ausgabe 1856. 
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Das Conditorei-Geschäft befand sich (lt. LAB) damals in der Kleinen Fleischergasse 20 und als Wohnung war Anger 21, d.h. die Hauptstraße Nr. 21 in Anger, direkt neben dem kleinen Raths-Teich gelegen, angegeben.

Und so geht die Aussage bzw. Anzeige Faggi’s weiter über sechs Aktenseiten…

Er beschreibt ausführlich, dass er den Nachbarn Wilhelm Winter in seine Vermutungen eingeweiht und um dessen Unterstützung bei der Schatzsuche im Teich ersucht hatte. Der erzählte ihm, dass angeblich im Jahr 1813 zur Völkerschlacht bei Leipzig in dieser Gegend die französische Kriegskasse mit über 200 Millionen Franken Inhalt verloren gegangen sein sollte. Vielleicht könnte man sie noch entdecken? Und er half schließlich Faggi bei nächtlichen Bohrversuchen am 2. Juni 1853 im Teich. Der Bohrer traf auf einen, nach Meinung der beiden Schatzgräber, hohlen Gegenstand, brach aber in diesem Moment ab. Die dadurch unterbrochene Schatzsuche wurde daraufhin kurzfristig vertagt.
Ein paar Wochen später wollte Faggi die gemeinsame Schatzsuche fortsetzen, aber Winter hatte (für Faggi merkwürdigerweise) kein Interesse mehr daran. Faggi wurde aber bekannt, dass Winter in umliegenden Schankstuben alte sächsische Silbertaler zum Verkauf angeboten haben sollte bzw. ein Stück Land mit alten Silbertalern bezahlen wollte. Daraus folgerte er, dass Winter den vermeintlichen Schatz aus dem kleinen Rathsteich von Anger, vermutlich mit seinem Bruder Gottlob Winter heimlich gehoben hatte.
Und das war der eigentliche Grund der Anzeige beim Rathslandgericht – ohne den Schatz mit Faggi zu teilen!
Faggi forderte schließlich vom Gericht, eine Bestrafung von Wilhelm Winter, um einen vermeintlichen Schatzanteil zugesprochen zu bekommen.

Interessant und hier noch erwähnenswert finde ich auf diesen ersten sechs Seiten dieser Gerichtsakte die zwei folgenden Passagen:

  • bei seinen Ausführungen zur Schatzsuche sagt Faggi über sich:
    … mußte mich fürwahr einen Schafskopf, Brummochsen und Esel [halten], daß ich die Sache nicht geheim gehalten …
  • und am Schluss der Ausführungen beklagt sich der Gerichtsbeamte:
    … vorstehend der Anzeige aus mannigfaltigen Gründen den Anschein gewinnt, als sei das Ganze eine Mystifikation Faggi’s …

Das Gericht beschließt schließlich trotz aller Mystifikation Anhörungen der von Faggi Beschuldigten durchzuführen, die im Zeitraum vom 11. bis zum 29. Juli 1853 stattfinden.

Dabei wird am letzten Anhörungstag auch Wilhelm Winter, als angeblich Hauptbeschuldigter, angehört:

… erschien im Rathslandgericht Friedrich Wilhelm Winter von Anger, 30 Jahre alt und gab … Folgendes an:

…Ich hab mir dies [die Schatzsuche] jedoch nur zum Scherz gemacht und keineswegs auch nur im Entferntesten daran gedacht, den absonderlichen Vorgaben Faggi’s Glauben zu schenken. Um ihn in seinem Unsinn zu bestärken, machte ich mir den Scherz, vorzugeben, ich hätte früher schon einmal mit einem Franzosen eine Kriegskasse heben wollen. … Das alle hatte ich Faggi nur weiß gemacht. Wir stießen bei dem Bohren allerdings auf einen festen Gegenstand, jedenfalls auf einen Stein. Daß dieser Gegenstand hohl geklungen, ist eine Einbildung Faggi’s, welcher schon glaubte, wir hätten auf die Geldkiste gestoßen.

Als Faggi mit dieser Ausage durch das Gericht konfrontiert wurde, war er anfangs nicht bereit dem glauben zu schenken und fühlte sich einer allseitigen Verschwörung ausgesetzt, um ihn um seinen, aus seiner Sicht, gerechten Anteil des Schatzes zu bringen.

Erst Anfang September 1853 nach weiteren zwei weiteren Gerichtsterminen akzeptierte er das Urteil:
Es gab für ihn schließlich weder einen Schatz noch einen geforderten Schatzanteil, sondern nur eine von ihm zu begleichende Rechnung über die Gerichtskosten von Summa Summarum 4 Talern, 2 Groschen und 6 Pfennigen.

Fazit:
außer Spesen nichts gewesen!


Literatur- und Quellenangaben

Literatur

alte Leipziger Zeitungen: Leipziger Zeitung 1853 und Leipziger Tageblatt und Anzeiger 1853

aktueller Kartenauszug OpenStreetMap, Leipzig-Ost, mit Stand Anfang 2023

eigene Skizzen nach Plan Hänel, 1837 und „fantastische“ Schatzkiste

Quellen

  • Quelle #1: Sachsen, Archivgut suchen… „anger schatz“, online
  • Quelle #2: Stadtarchiv Leipzig, Landstube, Rathslandgericht, Amtsgericht Leipzig, Sign. 162: Joseph Vincenz Xaverius gegen den Gutsbesitzer Friedrich Wilhelm Winter wegen Aufsuchung eines s.g. Schatzes im kleinen Rathsteiche in Anger betr., 1853.
  • Quelle #3: Adressbücher der Stadt Leipzig der Jahre 1852 bis 1857, Namens- und Handelsregister, online SLUB Dresden

Anmerkung

Ramdohrscher Park
benannt nach Hermann August Ramdohr (1850-etwa 1920), Leipziger Orthopäde, siehe wikipedia

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