Nach einem kühlen und verregneten Pfingstsonntag-Morgen 2017 sind wir bei 15 Grad Außentemperatur mit der Straßenbahn zum Musikpavillon im Clarapark (Clara-Zetkin-Park) gefahren und haben dort im Restaurant erstmal eine heiße Schokolade getrunken. Wir rasten zu jeder Jahreszeit gern dort am Pavillon. Zugegeben sind für uns Heißgetränke zu dieser Jahreszeit an dieser Stelle eher eine Seltenheit.
Interessantes konnten wir vor Ort in einer Journal-Sonderausgabe des Musikpavillons über die 120jährige Geschichte des Parks und an der Decke des Musikpavillons entdecken …
Deckenmalerei
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Decke vom Musikpavillon etwas farbig gefleckt aussieht (folgendes Bild, links). Beim genauen Hinschauen kann man aber (auf dem rechten Bild) blaue Herren mit Zylindern, einen alten Plan, der an den Clarapark erinnert und ein Fadenkreuz erkennen, in dessen Mittelpunkt der heutige Musikpavillon steht. Im Musikpavillon-Journal erfährt man, dass diese 48 m² große Deckenmalerei aus einer Zusammenarbeit der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) mit Prof. Heribert C. Ottersbach und Christian Weihrauch entstanden ist und anläßlich einer Jubiläumsfeier im Jahr 2012 offiziell den Bürgern der Stadt Leipzig übergeben wurde. [Literatur #1]
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Der Park gehört schon immer zur Familie.
Mein Bruder und ich sind im Leipziger Süden groß geworden. Soweit ich mich erinnern kann sind meine Eltern oft mit uns Kindern in den 1950er und 60er Jahren sonntags im Clarapark spazieren gegangen. Mein Vater stets mit Krawatte und Anzug, meine Mutter im Sonntagskleid und wir Knaben natürlich auch in „guten“ Sachen. Später ab den 70er Jahren haben meine Frau und ich diese gute Tradition auch vom Leipziger Osten aus gern mit unseren Kinder fortgesetzt.
Und wenn man genau in die Familiengeschichte schaut, dann gilt das auch für meine direkten Vorfahren. Schließlich wurde der Park zu der Zeit angelegt, als meine Urgroßeltern Marie und Bruno Stein hier in Gohlis wohnten.
Mitte der 1890er Jahre dehnten sich um das Hochflutbett der Pleiße noch sumpfige Wiesen. Auf dem Plan der Stadt Leipzig im linken Bild kann man noch die Universitätswiese, die Postwiese und die heiligen Wiesen westlich der Carl-Tauchnitz-Straße erkennen. Das sollte sich aber bald ändern. Im Rahmen der Vorbereitung einer großen Leipziger Industrie- und Gewerbeausstellung begannen im Mai 1895 auf diesen Wiesen Ausfüllungsarbeiten und bereits im Februar 1896 wurde mit der Errichtung von Hochbauten begonnen. ,,Der Ausstellungsplatz enthält ungefähr 400.000 Geviertmeter Fläche. Seine Herstellung als Park erforderte eine Bewegung von mehr als 300.000 Kubikmeter Boden. Alle Arbeiten wurden so gefördert, dass die Ausstellung rechtzeitig und vollendet am 24. April 1897 eröffnet werden konnte.“ [Literatur #2]
Das Deckenmalerei-Bild, rechts oben, zeigt also eine Skizze des damaligen Ausstellungsgeländes.
Die Grundstrukturen der damaligen Ausstellungsgestaltung kann man noch heute im Clarapark wiederentdecken. Das sieht man prinzipiell schon auf einem alten Plan der Stadt Leipzig aus dem Jahr 1903, auf dem ich Teiche, Hügel, Straße und Brücke hervorgehoben habe, die auch heute noch an diese große Ausstellung erinnern (unteres Bild, rechts). Und wie man erkennen kann: die Roten Straßenbahnlinien ,,3″ und ,,8″ fuhren das Ausstellungsgelände direkt am Eingangsbereich an.
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Die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897.
Die Ausstellung wurde am 24. April 1897 vom sächsischen König Albert, der dazu extra mit der Eisenbahn von Dresden nach Leipzig gereist war, eröffnet. ,,Der Besuch der Ausstellung gestaltete sich von Anfang an in erfreulicher Weise. Es wurden insgesamt rund 2.300.000 Eintrittskarten an den Tageskassen verkauft. Die wirkliche Zahl der Besucher in den 179 Tagen der Ausstellung zu ermitteln, ist unmöglich, es gab auch verschiedenste Dauerkarten, Freikarten … die Zahl von 4.200.000 Besuchern erscheint daher eher zu niedrig als zu hoch gegriffen.
Ansichtspostkarten von der Ausstellung gab es bereits ein halbes Jahr vor ihrer Eröffnung. Im Oktober 1896 erschien die erste Serie von 8 Ausführungen. Im ganzen wurden über 2 1/4 Millionen offizielle Postkarten der Ausstellung verkauft.“ [Literatur #2]
Die Schwester meiner Großmutter Berta Maria Richter hat mir eine umfangreiche Postkartensammlung überlassen, in der auch am ersten Ausstellungstag, dem 24. April 1897, original gelaufene Postkarten mit dem Stempel vom ,,AUSSTELLUNGS-PLATZ“ enthalten sind. Man beachte den Zeitstempel der Einlieferung ,,7 – 8 N.“, also am frühen Abend zwischen 19 und 20 Uhr und demgegenüber den Stempel mit der Auslieferungszeit ,,24.4. 8 – 10 N.“, demnach noch am gleichen Tag zwischen 20 und 22 Uhr (das ging ja sehr flink !).
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Auf der oben abgebildeten Postkarte ist ein interessanter Blick über das gesamte Ausstellungsgelände zu sehen: rechts die Eingangs-Obelisken am Rondell der Carl-Tauchnitz-Straße (heute befindet sich hier der Platz mit dem Kreisverkehr), nach links der Allee folgend das große Bassin bis zur damaligen Hauptbrücke über das Pleiße-Hochflutbett zur großen Industriehalle. Links ist der Inselteich mit der Fontäne zu sehen. Weil diese Postkarte aber aus der bereits 1896 erschienenen Karten-Vorserie stammt, fehlen einige der erst später hinzugekommenen Gebäude (z.B. das Theater, das Panorama, die Fahrradhalle …).
Auf der folgender (links abgebildeten) neueren Postkarte sind die Gebäude an der ,,Licht-Fontaine“ besser dargestellt. Auch in der (Leipziger) ,,Illustrirten Zeitung“ erschienen regelmäßig handgezeichnete Bilder vom Ausstellungsgelände. Hier auf dem rechten Bild ein Doppelseitenbild vom August 1897. [Quelle: Google-Zeitschriften]
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Mir ist noch eine Kuriosität in einer besonderen Ausstellung in einem Pavillon am Inselteich aufgefallen.
,,Die vielerlei Sehenswürdigkeiten und Schaustellungen … Es gehörten dazu unter anderem ein Röntgen-Strahlen-Kabinet.“ [Literatur #2] An anderer Stelle heißt es im Abschnitt
,,Ein Rundgang über den Ausstellungsplatz … In anderer Weise kommen im Röntgenstrahlen-Pavillon, gegenüber der Hauptgastwirtschaft, die Wunder der Elektrizität zur Geltung. Ein Besuch des Pavillons kostet 30 Pfg.“ [Literatur #3]
Wilhelm Conrad Röntgen hatte die X-Strahlen, wie er sie nannte, durch Zufall erst im November 1895 entdeckt. Sicher gab es im Pavillon (aus heutiger Sicht) haarsträubende Experimente – schade, dass ich darüber nichts Genaueres erfahren konnte …
Literatur:
#1 Musikpavillon Leipzig: http://www.musikpavillon-leipzig.de/
siehe: MP Journal, Deckengemälde, Historisches
#2 Illustrierte Chronik der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897, Meisenbach, Riffarth & Co, Leipzig 1899, [Quelle SLUB]
#3 Offizieller Führer durch die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung, Verlag G. L. Daube & Co, Leipzig 1897, [Quelle SLUB]
#4 Leipziger Kalender 1904, herausgegeben von Georg Merseburger, Verlag Johannes von Schalsche-Ehrenfeld, Leipzig 1904
#5 Sächsisch-Thüringrische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897, Fotobuch, [Quelle: SLUB]