Parkbesucher (2)

eine Postkarte von der Ausstellung an meinen Urgroßvater
Vor genau 120 Jahren wurde in den Abendstunden 13. Juni eine Postkarte vom AUSSTELLUNGS-PLATZ der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung an meinen Urgroßvater Carl Ernst Richter nach Leipzig Connewitz abgeschickt, siehe Original-Poststempel, rechts. Ernst war seit 1891 als Stallmeister im neu errichteten Pferdebahn-Depot der Großen Leipziger Straßenbahn (Blaue Linien) in Leipzig-Connewitz, in der Brandstraße Nr. 34, beschäftigt. Er war damals im Jahr 1897 41 Jahre alt und wohnte mit seiner Frau Bertha Thecla (43) und zwei Töchtern direkt im Straßenbahn-Depot.


Carl Ernst Richter aus Lengenfeld im Vogtland war der Vater meiner Großmutter Bertha Luise, die im Jahr 1914 meinen Großvater Bruno Gerhard Stein geheiratet hatte.
Im Jahr 1896 wurden die ersten Leipziger Straßenbahn-Triebwagen im Depot Connewitz auf elektrischen Betrieb umgerüstet und fuhren ab dem 17. April regulär auf der Linie von Connewitz nach Gohlis. Als Stallmeister hatte Ernst bis dahin im Depot über 200 Pferdeboxen zu betreuen. Mit der Umstellung der Straßenbahn vom Pferde auf elektrischen Betrieb, war es für Ernst eine günstige Gelegenheit, dass er in im folgenden Jahr 1897 vom Stallmeister zum Depot-Inspektor ,,umsatteln“ konnte.

Das ist auch der nachfolgend vorgestellten Ansichtspostkarte von der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe-Ausstellung zu entnehmen.

Der aufschlussreiche Kartengruß ist nicht ganz einfach aus dem Sütterlin-Deutsch zu entziffern [meine Ergänzungen und Mutmaßungen stehen in eckigen Klammern]:

Werter Herr!                          D[en]. 13./6.[18]97

Hitze groß, Betrieb fu [… nicht lesbar/übersetzbar, vielleicht im Sinne von toll].
Durst immens, Bier hochfein

Mit Gruß     Ru [Namenskürzel]

Auf der Rückseite steht:

An Herrn
Richter, Depotinspektor, früher Stallmeister
in L.-Connewitz
Wohnung Depot
Interessant ist, dass die eigentliche Anschrift Brandstraße 34 nicht erwähnt wird, man geht davon aus, dass der Postbote weiß, wo in Connewitz das Depot zu finden ist.

Auf der Postkarte ist neben der großen Industriehalle ein Teil des Thüringer Dörfchens, dem Nachbau von Alt-Leipzig auch ein Denkmal von König Albert von Sachsen zu sehen, dass damals auf der Allee nach der Hauptbrücke (später Sachsenbrücke) unmittelbar vor der Industriehalle stand.
Eine alte Fotografie vom Ausstellungsgelände, dass vom Eingangsbereich in Richtung Westen über das Bassin zur großen Industriehalle hin aufgenommen wurde, zeigt die noch kleinen, frisch angepflanzten Bäumchen beidseitig der damaligen König-Albert-Allee. [nachfolgendes Bild links aus Literatur #5]

Aktuell kann aus ähnlicher Fotopostition einen fast idyllischen Parkblick mit dem alten Baumbestand der heutigen Anton-Bruckner-Allee über das Bassin mit Wasserfontäne in Richtung der Sachsenbrücke genießen (Bild rechts).

Wie bereits auf der Ansichtskarte an Ernst Richter erwähnt, gab es auf dem gesamten Ausstellungsgelände eine große Anzahl von gastronomischen Einrichtungen, die meisten davon rings um den Inselteich mit der Leuchtfontäne, siehe Übersichtsplan auf dem linken Bild. Vom hochfeinen Bier wurden insgesamt auf dem Ausstellungsgelände etwas über 3 Millionen Liter ausgeschenkt, dazu kamen nochmals etwa 181.000 Liter Wein und diverse Getränke.
,,Es ist kaum nötig zu sagen, dass die Thätigkeit des Ordnungs- und Verkehrsausschusses von der Polizei der Stadt Leipzig kräftig unterstützt und in jeder Beziehung gefördert worden ist.“ Der Polizeidienst auf dem Ausstellungsgelände wurde über eine eigene Polizeiwache im äußersten rechten Flügel der Haupteingangsbauten abgesichert. Täglich kamen dort 1 Wachtmeister und 8 Schutzleute zum Einsatz, die bei Bedarf zu besonderen Ereignissen, Auf- und Umzügen durch bis zu 40 zusätzliche Schutzleute der Leipziger Polizeiwachen unterstützt wurden.[Literatur #6]
Dabei könnte auch mein Urgroßvater (großväterlicherseits) Ernst Bruno Stein mit zum Einsatz gekommen sein. Er hat in seiner Biografie leider nichts über solche aus seiner Sicht rein dienstliche Belange geschrieben. Weil seine junge Familie in Gohlis aber jeden Groschen brauchen konnte und er auch häufig auch an andere Polizeiwachen ,,ausgeliehen“ wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass er auch zum Schutz dieser Ausstellung hin und wieder abkommandiert wurde.

Übrigens wird im eben zitierten Beitrag ,,Marie und Bruno in Gohlis“ auch die oben im Text erwähnte erste Fahrt einer elektrischen Straßenbahn durch die Äußere Hallische Straße (in Gohlis) erwähnt.

die Umgestaltung des Ausstellungsgeländes zum Bürgerpark

Mitte Oktober 1897 war die wahrscheinlich größte aller sächsischen Messen und Ausstellung beendet. Das Gelände wurde beräumt und die Gebäudereste in zwei kleinen Hügeln aufgeschüttet. Daraus entstanden dann die ,,Große“ und die ,,Kleine Warze“. In meinem Leipziger Kalender aus dem Jahr 1904 [Literatur #4] kann man darüber folgendes lesen:
,,In südwestlicher Richtung geht der Johannapark in eine neue Gartenanlage allergrößten Stils, den Albertpark, über, der mit seinen schönen Erdwällen und den beiden, von herrlichen Blumenparterres umgebenden Teichen ein Vermächtnis der unvergesslichen Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung vom Jahr 1897 ist.
Einst dehnten sich hier um das Hochflutbett der Pleiße sumpfige Wiesen, dann, zu Beginn der neunziger Jahre, begann man die großartigen Erdbewegungen vorzunehmen, die die Gegend auf weite Strecken hin vollständig veränderten und ein blühendes von Alleen durchschnittenes Gelände gleichsam aus dem Nichts entstehen ließen.

Passend zum Beitrag aus dem Leipziger Kalender von 1904 möchte ich hier nochmals auf den Ausschnitt aus dem Plan der Stadt Leipzig von 1903 aus dem Beitrag ,,Parkbesucher (1)“ verweisen (Bild, unten links). Weil die Nachträge zu diesem vom Tiefbauamt der Stadt Leipzig herausgegebenen Plan bis zum Jahr 1902 reichen, erhält man heute einen guten Überblick, inwieweit die Umgestaltung dieses Geländes fünf Jahre nach dem Ende der Ausstellung, vorangekommen waren. Die heutigen Parkstrukturen sind bereits gut erkennbar.

Dem habe ich einen Ausschnitt aus einem Leipziger Stadtplan aus dem Jahr 1954 gegenübergestellt (Bild rechts). Auf diesem Stadtplan kann man die vielen Bezeichnungen von Plätze, Denkmäler, Brunnen im Park ausmachen, die heute aus Platzmangel auf den Stadtplänen meistens fehlen: auch den Richard-Strauß-Platz mit dem kleinen Kreis, der den Musikpavillon darstellen soll.

Der Musikpavillon am Richard-Strauß-Platz

Den Musikpavillon am Richard-Strauß-Platz gab es im Jahr 1903 noch nicht. Im Journal des Musikpavillons [Literatur #1] kann man zur Entstehung des Musikpavillons folgendes nachlesen:
,,Die ersten Ideen für den Bau eines Musikpavillons im König-Albert-Park gehen auf das Jahr 1908 zurück. Engagierte Bürger publizierten diesen Vorschlag in der Ausgabe Nr. 11 der Mittelstandvereinigung im Königreich Sachsen. Der Park und die Lebensqualität der Leipziger Bürgerschaft sollten durch öffentliche Konzerte belebt werden. Die damalige Stadtführung war von dieser Idee recht angetan. Allen voran der damalige OBM der Stadt, Dr. Dittrich, unterstützte dieses Projekt zeitlebens.“
,,Die Kosten wurden mit 6.600 Mark aus Stiftungsmitteln der Oskar-­Meyer-­Stiftung und mit 2.800 Mark der Grossmann-­Stiftung finanziert. Am 14. September 1912 beginnt nach 4-­monatiger Bauzeit die Geschichte des historischen Musikpavillons im damaligen König-Albert-Park.“

Und im Jahr 2012 wurde der Musikpavillon frisch saniert schließlich wieder den Bürgern der Stadt Leipzig übergeben.

Damit schließt sich der Kreis.

p.s.: Für den Clara-Zetkin-Park gibt es auch eine Entwicklungskonzeption, in der z.B. auch die Sanierung des Inselteichs enthalten ist (Bild, oben links). Der Teich wurde inzwischen entschlammt, die Uferregionen wurden befestigt und für die Insel ist, habe ich gehört, sogar wieder eine Fontäne vorgesehen – na da bin ich ja mal gespannt …


Literatur:

#1 Musikpavillon Leipzig: http://www.musikpavillon-leipzig.de/
siehe: MP Journal, Deckengemälde, Historisches
#2  Illustrierte Chronik der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897, Meisenbach, Riffarth & Co, Leipzig 1899, [Quelle SLUB]
#3  Offizieller Führer durch die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung, Verlag G. L. Daube & Co, Leipzig 1897, [Quelle SLUB]
#4  Leipziger Kalender 1904, herausgegeben von Georg Merseburger, Verlag Johannes von Schalsche-Ehrenfeld, Leipzig 1904
#5  Sächsisch-Thüringrische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897, Fotobuch, [Quelle: SLUB]
#6  Beitrag aus Wikipedia zur Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Leipzig 1897

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