Ostbad-Geschichten (1)

Das Leipziger Ostbad konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken.
Es wurde im Jahr 1887 im Privatbesitz als Marienbad eröffnet und zählte damals zu den größten und modernsten Hallenbädern Deutschlands. Im Jahr 1912 erfolgte ein Namenswechsel zum Ostbad, das im Jahr 1923, in der Inflationszeit nach 36 Jahren Badezeit, geschlossen wurde.
Danach erwarb die Stadt Leipzig 1925 das Ostbad und betrieb es über 70 Jahre bis zur Schließung im Jahr 1995.
Insgesamt 106 Jahre Badezeit!
Vielleicht war das aber noch nicht ganz das Ende?
Momentan wird an einem neuen Bad im Osten gebaut, das vielleicht im Jahr 2024 eröffnet wird …

Ein Beitrag über 106 Jahre Badezeit?
Nein, das geht nicht so in aller Kürze.
Deshalb habe ich die folgenden beiden Beiträge in einen privat und einen städtisch verwalteten Badebetrieb geteilt und beginne im Jahr 1887 mit dem privaten Teil …

Teil 1: das privat geführte Bad – 1887 bis 1923

Anfang des Jahres 1887 stellte Gustav Adolph Glitzner als Inhaber von „J. G. Glitzners Dampfsägewerk, Mahlmühle, Dampf-Holzspalterei, Holzhandlung“ bei der Gemeinde Neuschönefeld den Antrag, auf seinem Grundstück ein Hallenbad einrichten zu dürfen.

Zweifelsohne war das ein interessantes Unternehmen, das auch im Vorfeld der Baugenehmigung schon für notwendigen Abstimmungsbedarf, Disput und Streit auch mit der Nachbargemeinde Neustadt sorgte.

So wollte der Unternehmer Glitzner zum Beispiel die Abwässer seiner Badeanstalt in die Neustädter Kanalisation abführen lassen. Es kam in diesem Fall zu einer gütlichen Einigung, die man noch heute einer Notiz im Protokoll der Neustädter Gemeinderatssitzung vom 1. April 1887 entnehmen kann:

„… bei Vortrag des Wohlfahrtsausschusses wird das neuere Anbringen des Herrn Glitzner in Neuschönefeld wegen Gestattung des Wasserabführens aus seiner projektierten Badeanstalt event. aus seinen sämmtlichen Grundstücken in die diesseitige Wölbschleuse, nach dem Vorschläge des Ausschusses, nur die Wässer aus der Badeanstalt aufzunehmen und hierfür jährlich 1000 Badefreibillets für unbemittelte Schulkinder zu fordern, zugestimmt.“

In weiteren Abstimmungspunkten ging es um den eigenen Brunnen für das zukünftige Bad, die Zugangswege zum Bad, die Gestaltung und Ausstattung der Schwimmhalle und des Gebäudes und natürlich auch personelle Fragen …

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Schließlich erhielt Glitzner die Baugenehmigung und ließ das Gebäude mit der Badeanstalt nach Plänen der Architekten Polster & Höhne errichten. Wie der Bauskizze in der oberen rechten Abbildung zu entnehmen ist, wurden zusätzlich über der Schwimmhalle noch drei weitere Etagen zur Wohnraumvermietung gebaut. Für die Leipziger Bäderlandschaft war das schon ein eigenwilliges Konzept. [Quelle #1]

Die Eröffnung des Marienbades

am 10. Oktober 1887 war vor über 135 Jahren schon eine spektakuläre Angelegenheit in Neuschönefeld, im Leipziger Osten und der gesamten Leipziger Region. Es war zu damaliger Zeit sicher eines der größten und modernsten Bäder Deutschlands.
Das Bad benannte der Unternehmer Glitzner nach dem Namen seiner Gattin Marie Luise – als „Marienbad“
Der damalige Gemeindevorsteher von Neuschönefeld Moritz Weißbach, die Presseredaktionen des Leipziger Umlandes und auch die Leipziger Tagespresse waren voll des Lobes für die allen Anforderungen der Neuzeit entsprechende Badeanstalt.

Der Gemeindevorsteher von Neuschönefeld Moritz Weißbach schrieb über das Bad:

„… Der Begründer kann mit Stolz auf seine glückliche Idee zurückblicken. Die Einrichtungen der Anstalt sind so comfortabel, daß sich jeder Stand und jedes Geschlecht darin wohlbefindet. Die gestellten niedrigen Preise gestatten die Benutzung Jedermann und diesem Umstande und den bequemen Einrichtungen mag es in der Hauptsache zuzuschreiben sein, daß der Besuch bisher alle Erwartungen übertroffen hat.“ [Quelle #2]

Leipziger Tageszeitungen berichteten mehrfach über die Eröffnung der neuen Neuschönefelder Badanstalt. Nachfolgend links der Original-Zeitungsausschnitt vom 11. Oktober 1887 in üblicher Frakturschrift, rechts die „Übersetzung“:

„Eine Festlichkeit, wie solche wohl noch in keinem der Leipziger Vororte gefeiert wurde, hatte heute unser Ort aufzuweisen: die Einweihung einer großartigen Badeanstalt, nämlich des von Herrn Glitzner erbauten, in der Sophienstraße hierselbst gelegenen Marienbades. Unter den heute zur Feier erschienenen Ehrengästen befanden sich der Herr Geh. Regierungsrath Amtshauptmann Dr. Platzmann, fast sämmtliche Gemeinderäthe der östlichen Vororte Leipzigs, mehrere Mitglieder des Bezirksausschusses und viele wohlangesehene Persönlichkeiten Leipzigs und seiner Vororte. Zur Einweihung wurden, nach einigen Vorträgen der Capelle des 134. Inf.-Regiments (Direction Herr Musikdirector Jahrow), von Herrn Ingenieur Höhne (Firma Polster & Höhne, Erbauer des Bades), sowie von Herrn Schuldirektor Muth-Neuschönefeld die auf das Entstehen und die Bedeutung des Bades bezüglichen Ansprachen gehalten, worauf nach einem „Probebad“ und nach eingenommenem Imbiß* Abends ein Essen über dem Schwimmbassin stattfand.“[Quelle #3]

Die Lokale Presse wie die Leipziger Vorstadt-Zeitung ging auch auf technischen Details des neuen Bades ein:

„Das Marienbad in Neuschönefeld…. Sein Bassin ist 22,5 Meter lang und 11 Meter breit, mithin noch einmal so groß wie das Bassin des Sophienbades und eineinhalbmal größer als das des Dianabades. Sein Wasserstand beträgt an der flachsten Stelle 0,75 Meter, an der tiefsten etwas über 3 Meter. Es enthält normal 550 Kubikmeter Wasser …
Die Wellen-Vorrichtung, von Bachmann & Reiter in Reudnitz gefertigt**, wirkt stärker als die uns bekannten und befriedigt in hohem Grade …
Die Beleuchtung geschieht durch zwei große Bogenlichter, in den Zellen und Korridoren werden Glühlichter verwendet.“
[Quelle #4]

Zur offiziellen Einweihung wurde sogar ein kleines Gedicht über das Marienbad vorgetragen:

„Marienbad, mög’s klar und rein
Für Jedermann Erquickung sein,
Den Körper und den Geist beleben
Uns so den Zoll zum Volkswohl geben!“

Nach der offiziellen Eröffnung folgte einen Tag später, am Dienstag, dem 11. Oktober 1887, die Eröffnung des Marien-Bades für’s Volk, für den öffentlichen Publikumsverkehr, siehe folgende Anzeigen aus dem Leipziger Tageblatt und dem Eintrag im Adressbuch für die Ostvororte Leipzigs für das Jahr 1888:

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Anmerkungen:
* der Imbiß wurde im Restaurant „Zum bayerischen Hofe“ in der Eisenbahnstraße eingenommen,
**der hier genannte Wellen-Vorrichtungs-Fabrikant stammt aus der unmittelbaren Umgebung Neuschönefelds, der nahegelegenen Lutherstraße in Reudnitz, siehe auch Literaturhinweis.
Der Zugang zum Bad konnte sowohl von der Konradstraße als auch von der Eisenbahnstraße aus erfolgen.
- zur Eröffnung im Jahr 1887 lautete die Anschrift der Badeanstalt Sophienstr. 13/14 bzw. durch den Übergang von der Eisenbahnstr. 31
- nach der Eingemeindung zu Leipzig im Jahr 1890 änderten sich Straßen- und Hausnummern nach Conradstr. (Konradstr.) 25 bzw. Eisenbahnstr. 66.
Die hier oben rechts im Adressbuch der Ostvororte Leipzigs angegebene Wassertemperatur von 20 °R (Réaumur) entspricht nach heute üblicher Celsius-Temperaturskala einem Wert von 25 °C. [In der heutigen Zeit würde das unter Protest, bei den meisten Badbenutzern als zu kühl empfunden].

Folgeaktivitäten 1895-1904

Ab dem Monat Mai 1895 wurde im Hof hinter dem Marienbad am bestehenden Glitzner’schen Dampfsägewerk, direkt neben dem Kessel- und Maschinenhaus, eine Dampfbade-Anstalt angebaut, siehe Lageskizze unten links. [Quelle #1]

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Dampfbade-Anstalt als Erweiterung 1895

Das ist auch auf einer alten Ansichtskarte des Marienbades (oben rechts) in den verschiedene Innenansichten des Bades ersichtlich. Auch in den Anzeigen der Leipziger Volkszeitung vom Dezember 1896 wurde der Dampfbadebereich beworben.

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Aber, es gab auch ganz andere Aktivitäten. Schon bald nach der Eröffnung des Marienbads traten schwimmsportlich interessierte und begeisterte Einwohner der Umgebung an den damaligen Besitzer des Marienbades, Herrn Glitzner, heran und konnten im Bad Übungsabende vereinbaren. Sie traten dem damals bestehenden „Schwimmerbund“ in Leipzig bei.
Am 12. März 1903 wurde der Schwimm-Verein Leipzig-Ost von den Herren Georg Thiemig und Fritz Schwibbus gegründet.

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[Quelle #5]

Rasch wuchs die Zahl der Mitglieder. Da der Verein neben dem volkstümlichen auch das sportliche Schwimmen pflegen wollte, wurde am 7. November 1903 die Anmeldung zum Deutschen Schwimmverband vollzogen. Dem folgte ein Jahr später auch die Gründung einer Damenabteilung.
Erste Erfolge für den neuen Verein erzielten Hermann Thiemig, Moritz Voigt, Walter Stein, Walter Börsch, Curt und Martin Stein bei schwimmsportlichen Veranstaltungen in Leipzig. [Quelle #5]

Nach dem Tod von Adolph Glitzner im Jahr 1896 ging das Dampfsägewerk, das schon längere Zeit Verluste geschrieben hatte in Konkurs. Wegen offener Verbindlichkeiten fielen sämtliche Immobilien Glitzners an Gläubiger-Banken. Das waren ab 1896 die Credit- und Spar-Bank A.G. und ab 1903 Röthigs Terrain-Gesellschaft m.b.H.

Umbenennung zum Ostbad 1912 bis zur Schließung 1923

Im Dezember des Jahres 1912 wurde das Leipzig-Neuschönefelder Marienbad in Ostbad umbenannt. Das läßt sich anhand der Anzeigen der Bade- und Schwimm-Anstalten in der Leipziger Volkszeitung vom Ende November und Anfang Dezember 1912 gut nachverfolgen.

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Leipziger Volkszeitung, links 30.11.1912 als Marienbad / rechts 7.12.1912 als Ost-/ Marienbad

Den Grund zur Namensänderung von Marienbad nach 25jähriger Betriebszeit zum Ostbad konnte ich leider nicht ermitteln.
Marie Glitzner ist übrigens im November 1944 mit 93 Jahren verstorben.

Das Ostbad hatte den 1. Weltkrieg und seine Folgen bis zur Inflationszeit mehr schlecht als recht überstanden, war aber ab dem Frühjahr 1923 mehrfach auf städtische Hilfen angewiesen.

Im August 1923 sah sich die Leipziger Stadtverwaltung außerstande weitere Zuschüsse für das Ostbad zu genehmigen. Das führte Anfang September zur Schließung des Ostbades, siehe anliegende Zeitungsartikel aus dem Leipziger Tageblatt und Handelszeitung:

[05.09.1923]„Schließung des Ostbades
Um für den stark bevölkerten Osten der Stadt das Ostbad zu erhalten, hat die Stadtgemeinde schon seit Jahren an den Besitzer des Ostbades Beihilfen bis Juli d.J. gewährt. Als im August d.J. das Ostbad von dem Rat neue, ganz erhebliche, von den Kohlenpreisen abhängige laufende Zuschüsse forderte, war es dem Rat bei der inzwischen eingetretenen schwierigen Finanzlage der Stadt nicht möglich, dies neuen Forderungen, deren Höhe bei den ständig steigenden Kohlenpreisen nicht abzusehen ist, zu bewilligen, um so weniger, als durch die dauernd steigenden Unkosten selbst die Aufrechterhaltung der städtischen Bäder in Frage gestellt ist.
Das Ostbad wird infolgedessen schließen müssen. Dies ist um so bedauerlicher, als der Bevölkerung im Osten der Stadt kein Bad mehr zur Verfügung steht, denn neben dem Dianabad ist nun auch das Ostbad ein Opfer der zeit geworden. Im Interesse der Gesundheit der Einwohner ist dies bedauerlich.“
[07.09.1923]„Zu diesem Zweck kann es der Stadtverwaltung freilich nicht zugemutet werden, diesem Privatbetriebe Milliardenzuschüsse ohne jegliches Kontroll- und Mitbestimmungsrecht zu leisten oder ihn gar zu dem exorbitatnten Preise von mehr als einer Million Goldmark aufzukaufen.“[Quelle #6]

Damit war das bis dahin privat geführte Marien- bzw. Ostbad nach 36jähriger Badezeit zunächst am Ende.

Wie es aber dann unter städtischer Regie weiterging, davon berichte ich Euch demnächst in einem zweiten Teil.


Literatur- und Quellenverzeichnis

Literatur

Adressbücher der Leipziger Ostvorstädte und Leipziger Adressbücher der Jahre 1888 bis 1923

Leipziger Tageszeitungen: Leipziger Tageblatt und Anzeiger/ Handelsblatt, Leipziger Volkszeitung

eigene Skizzen, eigene Stadtplan 1903

empfehlenswerte Blog-Beiträge:
… über Badegelegenheiten in Neustadt / Neuschönefeld, vom Januar 2015
Reudnitzer Industrie-Adel (4), vom August 2020

Quellen

Quelle #1: Stadtarchiv Leipzig, Bauakten zum Grundstück Neuschönefeld, Konradstr. 25, BauAkt Sign. 19992, 19993

Quelle #2: Moritz Weißbach: Geschichte der Gemeinde Neuschönefeld, ihre Entstehung und Entwicklung bis zu ihrem Anschlusse an die Stadt Leipzig am 1. Januar 1890, Abschnitt XVII. Gesundheitswesen, S. 53/54

Quelle #3: Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 11. Oktober 1887, ausführlich hier in einem Zeitungsartikel vom Folgetag nachzulesen

Quelle #4: Leipziger Vorstadt-Zeitung vom 12. Oktober 1887

Quelle #5: Otto Sagan: Festschrift hrsg. aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Schwimm-Vereins „Stern“-Leipzig von 1903 E. V., Verlag Leipzig : Schwimm-Verein „Stern“, 1928, DNB 1930 B 1850

Quelle #6: Leipziger Tageblatt und Handelszeitung, vom 05. September 1923, Seite 3 zur Schließung des Ostbades

persönliche Mitteilungen

Mit Informationen und einer Zeitungsrecherche zum Marienbad/ Ostbad hat mich Andreas Hönemann unterstützt.

Das Bild im Beitrags-Intro habe ich von Frank Heinrich zur Verfügung gestellt bekommen, es wurde im März 1991 an der Ernst-Thälmann-Straße fotografiert.

Vielen Dank für die Unterstützung!

Ein Gedanke zu “Ostbad-Geschichten (1)

  1. Ich wohnte in den 60er Jahren in der Jonasstr. Toilette außerhalb und ohne Bad.
    Im Ostbad gab es Badewannen,die ich gern benutzt habe.

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