Winter-Kapriolen, Teil 2: 1987

L.-Neustadt,  ,,weiße Weihnachten" 1986

L.-Neustadt, es schneit im Hinterhof
an der Thälmann-Straße, 23.12.1986

Winter-Kapriolen (2): Januar 1987

Anfangs sah das im Dezember 1986 ja ganz prima aus – der Blick aus dem Kinderzimmer-Fenster am 23. Dezember zeigte: leise rieselt der Schnee …
Auch im Hinterhof an der Ernst-Thälmann-Straße wurde es bei leichtem Frost langsam weiß und wir hatten hier in Leipzig dann am 24. mit etwa 10 cm Neuschnee ,,weiße Weihnachten“.

Die weiße  Pracht reichten leider nur knapp über die Weihnachts-Feiertage und pünktlich ab dem 27. Dezember hatten schon wieder Tauwetter mit Temperaturen knapp über Null Grad und mit Regen bis über den Jahreswechsel.

Es schien eine kurze Winter-Episode gewesen zu sein und das ist ja in unseren mitteleuropäischen Breitengraden häufig der Fall, oder ?

Winter_86-87Aus den Wetterdaten für Leipzig habe ich (nach Wetterzentrale.de) für den Zeitraum vom 23.12.86 bis zum 22.01.87 ein Wetter-Diagramm erstellt, auf dem jeweils die Schneehöhe und die Tiefst- bzw. mittleren Temperaturen dargestellt sind. Wie man ablesen kann, kamen Kälte und Schnee in drei Schüben: der erste in der Weihnachtszeit, der zweite kurz nach Neujahr und der dritte gewaltige polare Kaltluft-Einbruch ab dem 7. Januar 1987.
Doch im Ablauf  – der Reihe nach.

L.-Neustadt, am Freitag, den 9. Januar
Es schneit seit zwei Tagen, draußen liegen etwa 20 cm Schnee und es wird auch täglich bei einem böigen Nord-Nordost-Wind immer kälter. Auf der Arbeit im Fernmeldewerk hat Kollege H. erzählt, dass in den Braunkohle-Tagebauen der Umgebung (Espenhain und im Geiseltal) der vom Regen aufgeweichte Boden immer mehr gefriert.

Ob das Folgen hat?

Ja, ab Freitagabend stellen wir zu Hause in der Neustädter Straße fest, dass das Gas ohne Vorwarnung einfach abgestellt wurde. Im DDR-Radio wird was von Schwankungen in der Energieversorgung berichtet – was tun zum Wochenende?

L.-Neustadt, am Sonnabend, den 10. Januar

L.-Neustadt, Neustädter/ E.-Thälmann-Straße am 10.01.'87

L.-Neustadt, Neustädter/ E.-Thälmann-Straße, Expedition am 10.01.’87

Wir erinnern uns, dass die Oma in Dölitz eine zusätzliche elektrische Kochplatte hat und uns schon mal angeboten hatte, dass wir sie im Notfall haben könnten – das wäre eine Lösung.
Unser großer Sohn Oliver (11) möchte sofort zu seiner Oma auf Expedition in den Leipziger Süden fahren. Dazu muss er mit der Straßenbahn erstmal irgendwie zum Hauptbahnhof kommen, von dort aus mit der ,,Linie 11″ nach Dölitz weiterfahren, die Kochplatte bei der Oma abholen und wieder zurück kommen. Ja, das klappt auch und bei der Oma bekommt er auch noch ein warmes Mittagessen!

Wir haben zwar einen kohlebeheizbaren Glutos-Küchenherd, aber eine elektrische Kochplatte ist natürlich viel besser einsetzbar. Besonders, weil Wochenende ist und auch unser jüngster Sohn Moritz (knapp 2) natürlich auch was richtig Warmes essen möchte …

L.-Neustadt, am Sonntag, den 11. Januar
Wir haben inzwischen in Leipzig über 30 cm Schnee und die Außentemperaturen kommen kaum noch über minus 15 Grad hinaus.

Bei einem kleinen Orts-Rundgang sind folgende Bilder entstanden:

L-sw-Filme_11

L.-Neustadt, H.-Liebmann- / Ludwig-Str.,
tiefer Winter im Januar 1987

L.-Neustadt, E.-Thälmann-Str. , Richtung Stadt, Januar 1987

L.-Neustadt, frostiger Tag an der E.-Thälmann-Str. , Blick Richtung Stadt, Januar 1987

L.-Neustadt, E.-Thälmann-Str. stadtauswärts, Januar 1987

L.-Neustadt, E.-Thälmann-Str. stadtauswärts, Januar 1987

L.-Neustadt, Winterabend an der E.-Thälmann-Str., Januar 1987

L.-Neustadt, verschneiter Abend an der E.-Thälmann- / Neustädter Str. im Januar 1987

—–
L.-Stötteritz, am Montag, den 12. Januar  
Während des heftigen Wintereinbruchs im Januar 1987 war es auch nicht so einfach zur Arbeitsstelle zu gelangen. An dem Montag bin ich früh bei Außentemperaturen von etwa minus 20 Grad mit der S-Bahn von Leipzig-Ost in Richtung Stötteritz gefahren. In der S-Bahn war’s eiskalt und sie fuhr auch nicht fahrplanmäßig. Aber wir kamen schließlich nach einer reichlichen halben Stunde (sonst 10 min Fahrzeit) in Stötteritz an und konnten uns über die tief verschneiten Fußwege der Papiermühl- und Eichstädtstraße zum Leipziger Fernmeldewerk (FMWL – damals VEB RFT Nachrichtenelektronik ,,Albert Norden“) durchkämpfen.

Natürlich war an dem Tag ,,sozialistische Hilfe“ beim Schneeschippen an irgendeiner entfernteren Straßenkreuzung angesagt. Das half aber wirklich nicht viel, weil es ständig wieder drauf schneite. Ich hatte gegen Mittag in einem anderen der vielen Betriebsteile des Fernmeldewerks in Stötteritz zu tun und konnte bei der Rückkehr die anliegenden Bilder aufnehmen.

Einmal ein Bild von der Straßenbahn am verschneiten Weißeplatz (Ecke Arnold-/Weißestraße mit Linie 4) und zum zweiten von unserem Werkseingang in der Melscher Straße 7, der inzwischen für Fahrzeuge nahezu unpassierbar geworden war. Am Stötteritzer Wäldchen (Fußweg nach rechts) herrschte tiefer Winter.

Leipzig-Stötteritz am Weißeplatz, im Januar 1987

Leipzig-Stötteritz am Weißeplatz, im Januar 1987

Leipzig-Stötteritz, Einfahrt zum Fernemeldewerk, im Januar 1987

Leipzig-Stötteritz, Einfahrt zum Fernemeldewerk, Melscher Straße, im Januar 1987

L.-Neustadt, am Dienstag, den 13. Januar
Am Dienstag liegt die Tagesmittel-Temperatur in Leipzig etwas unter minus 20 Grad (!) und die Schneehöhe ist inzwischen auf über 40 cm angewachsen. Als ich Nachmittags vom Hauptbahnhof komme, da ist die Rosa-Luxemburg-Straße wegen eines Wasserrohrbruchs, genau unter den stadtauswärtigen Straßenbahngleisen, für den Autoverkehr provisorisch mit einem Schild ,,Einfahrt verboten“ und einem einsamen Verkehrskegel gesperrt worden. Die Straßenbahn fährt aber noch. Auf dem linken Bild sieht man, dass der Trabbi wegen der Straßensperrung brav  links blinkt, um in die Straße ,,Hahnekamm“ abzubiegen. Das rechte Bild habe ich etwa in Höhe der Hofmeisterstraße aufgenommen. Es zeigt die gleiche Straßenszene in stadteinwärtiger Blickrichtung. An der Haltestelle Hofmeisterstraße warten bei Kälte viele Fahrgäste auf eine der selten fahrenden Straßenbahnen. Im Hintergrund das Wohn-Hochhaus in der Wintergartenstraße (kurz ,,Wiga“ genannt).

Leipzig, Rosa-Luxemburg-Straße stadtauswärts, im Januar 1987

Leipzig, Rosa-Luxemburg-Straße,
stadtauswärts im Januar 1987

Leipzig, Rosa-Luxemburg-Straße, im Januar 1987

Leipzig, Rosa-Luxemburg-Straße Richtung
Hauptbahnhof, im Januar 1987

Am nächsten Tag konnte ich die Reparatur dieses Rohrbruchs beobachten: Unmittelbar neben den Schienen war eine Baugrube in der Rosa-Luxemburg-Straße ausgehoben worden und ein Tiefbau-Arbeiter stand bis zu den Hüften im (wegen des krassen Temperaturunterschiedes) dampfenden Wasser. Ein groteskes Bild – leider hatte ich da keinen Fotoapparat dabei …

gleicher Tag, am Abend

Leipzig, Ernst-Thälmann-Straße, Stillstand im Januar 1987

Leipzig, Ernst-Thälmann-Straße, Stillstand im Januar 1987

Am Abend zeigt unser Außenthermometer an der Neustädter Straße etwa – 25 °C an. Dazu wehte draußen noch ein kalter Nordost-Wind – also mindestens gefühlte  minus 35 Grad 😉

Eine Straßenbahn der Linie ,,2″ bleibt unmittelbar an der Ecke Ernst-Thälmann-Straße/ Neustädter Straße stehen, nichts geht mehr – kein Fahrstrom. Die Leute sind alle ausgestiegen und zu Fuß weiter gelaufen. Der Verkehr steht zu der Zeit auf der Ernst-Thälmann-Straße. Nur noch ein robuster Militär-LKW der sowjetischen Streitkräfte vom Typ Ural 4320 (?) ist noch langsam fahrend auf Transport-Mission zur Kaserne in Heiterblick (im Nordosten Leipzigs) unterwegs.

In dieser Nacht wurden für Leipzig die tiefsten Wintertemperaturen aller bisherigen  Wetteraufzeichnungen gemessen: – 27,6 °C

Leipzig, am Mittwoch, den 14. Januar

Am Mittwoch-Nachmittag habe ich das linke Foto am Fußgänger-Überweg vor der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofs aufgenommen. Die Temperatur war zu dieser Zeit wieder unter minus 20 Grad abgesunken und auf den Straßen waren nur noch wenige Autos und einige nicht mehr fahrplanmäßige Straßenbahnen unterwegs.

Leipzig, am Hauptbahnhof, Januar 1987

Leipzig, am Hauptbahnhof, Januar 1987

Leipzig, am Hauptbahnhof-Ostseite, Januar 1987

Leipzig, am Hauptbahnhof-Ostseite, Januar 1987

Winter.1987.01.16_ND_01Das rechte Foto habe ich etwa 1/4 Stunde später vorm Restaurant ,,Falstaff“ am Georgiring mit Blick Richtung Hauptbahnhof-Ostseite aufgenommen. Auf dem Bild sind am ,,Ostkreisel“ weder Straßenbahnen noch Autos zu sehen, nur Scharen von Fußgängern – ist hier ein Volks-Wandertag?

Nein, per pedes war an diesem Tag oft die einzig mögliche Fortbewegungsart. Der Leipziger Straßenbahnverkehr kam durch die häufiger werdenden Stromabschaltungen und Störungen der elektrisch betriebenen Weichen immer häufiger zum Erliegen. Manchmal blieben Straßenbahnen mitten auf der Straße einfach stehen und nach dem die Fahrgäste ausgestiegen waren sah das sehr gespenstisch aus …

Zeitungsausschnitt rechts: erste Zeitungsmeldungen über die Kältewelle aus dem ,,Zentralorgan“ ND (Neues Deutschland) vom 15.01.1987 beschreiben einen kleinen Teil vom Ernst der Lage.

Wettertelegramm aus dem Sächsischen Tageblatt am 15.01.21987:

weiterhin zufuhr kontinentaler arktischer polarluft – wiederum extreme frosttemperaturen – bewölkt – teilweise leichter Schneefall

*****schnee*****kälte*****

L.-Neustadt, am Freitag, den 16. Januar

Sächsisches Tageblatt, 16. Januar 1987

Sächsisches Tageblatt, 16. Januar 1987

Carmen M. aus einer befreundeten Familie wohnte in der Selliner Straße im Wohnkomplex 7 in Leipzig Grünau (Leipziger Neubau-Gebiet im Westen der Stadt). Sie hat später erzählt, dass dort in der Zeit um den 14./15. Januar die Fernwärme-Versorgung durch das Heizkraftwerk Kulkwitz, dass vor allem die Neubausiedlung Leipzig-Grünau mit Wärme versorgte, nicht mehr gewährleistet werden konnte. Es wurde in den Wohnungen immer kälter. Da ging’s uns ja noch viel besser; wir hatten den Keller voller Braunkohlen-Briketts und konnten die vier Öfen in unserer Wohnung heizen, damit es einigermaßen warm wurde.

Leipzig-Reudnitz, Rodelspaß im Elsapark im Januar 1987

Leipzig-Reudnitz, Rodelspaß im Elsapark im Januar 1987

Und am darauffolgenden Wochenende sind wir bei immer noch minus 10 Grad mit den Kindern und dem Schlitten über die Ernst-Thälmann-Straße zum nahen Elsapark zum Rodelspaß gelaufen. Das hat auch bei dem bescheidenen Hügel dort allen wie man sieht viel Spaß gemacht!

Anmerkungen:
– Ernst-Thälmann-Straße, heißt heute [wieder] Eisenbahnstraße
– alle Bilder aufgenommen mit Exa 1a, Lydith (Meyer-Optik Görlitz) 30 mm, ORWO s/w Film NP 27

2 Gedanken zu “Winter-Kapriolen, Teil 2: 1987

  1. Angesichts der Bilder werden Erinnerungen wach…
    Das war der Winter, als ich hier nur zu Besuch war und dann 3 Wochen fest saß. Ich habe mich einfach nicht in den Zug getraut. Mehr als 200 km mit einem 6 Monate alten Kind waren tabu. Die Züge waren nicht beheizt, man hätte keinen Tee oder Brei warmmachen können und ob ich angekommen wäre, war ungewiss.
    In Leipzig selbst saßen wir auch fest, als ich mit dem Baby zum Hautarzt musste. Der Hinweg ging noch – aber dann brach der Verkehr vollkommen zusammen bei -30 Grad. Keine Bahn mehr, kein Bus und Autos sprangen nicht mehr an. Irgendwo Nahe der Eisenbahnstraße waren wir ‚gestrandet‘ und mussten nach Portitz. Viele Kilometer Fußmarsch mit Kinderwagen… dummerweise an der Bahn entlang mit der Idee, dass doch noch eine Straßenbahn kommt. In Thekla klingelte ich bei einem Schulfreund an in der Hoffnung, dass der sein Auto aus der Garage kriegt – aber auch das war chancenlos.
    Was hatte ich Angst, dass der Zwerg im Wagen erfriert! Meine Mutter hat mit ihrem Kopftuck versucht, den Kinderwagen so zuzubinden, dass der Eiswind dort nicht so reinfaucht. Hat wohl funktioniert, der Zwerg im Wagen war der Einzige, der nicht gefroren hat.

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  2. Ich hab zu der Zeit in Thekla gewohnt, hab im Bett die ganze Nacht über ein Kofferradio die neuesten Nachrichten verfolgt. Dann ginges hoch, Muttern hat mich aufgeweckt, Strom war weg, trotzdem Frühstück.
    Dann zur Schule bei -27°C. Natürlich war kein Lehrer vor Ort, aber der Versuch war da.
    Den Tag dann Tmax -18°C, der Bagger hat geknirscht, es war ein heftiges Ereignis.

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