Exkursion zu 3 x Ost

im (Leipziger) Osten zur Ecke Oststraße am Ostplatz

der status  quo:
Reu.C165P_Ostpl.4-1Bei einer Stadtteil-Exkursion im April diesen Jahres zum Ostplatz im Leipziger Osten fällt an der Ecke zur Oststraße sofort ein seit mehreren Jahren leer stehendes und verfallendes Wohnhaus (und Leipziger  Kulturdenkmal!) auf:
das Haus Ostplatz Nr. 4.
Besonderheit – es hat noch eines der selten gewordenen blau-weißen Brandkataster-Emailleschilder, gleich auf der linken Seite des Hauseingangs mit der Beschriftung: Reu.Abt. C 165P.
An dieser Stelle möchte ich [bei der Recherche unterstützt durch Andreas Hönemann] hier ein paar Bemerkungen über den Leipzig/Reudnitzer Ostplatz und speziell zu diesem Haus präsentieren.

1. der Ostplatz
Im Gegensatz zu vielen anderen heutigen Leipziger Straßenkreuzungen war der Ostplatz in der Vergangenheit keine Straßenkreuzung. In der Richtung der heutigen Prager Straße führte anno dazumal eine Straße nach Grimma mit einem Abzweig nach Prag. Erst mit dem Bau der ersten Leipziger Eisenbahn-Bahnhöfe und dem Bau einer sogenannten Verbindungsbahn zwischen den Magdeburg/ Dresdner Bahnhöfen im Norden und dem Bayerschen Bahnhof im Süden der Stadt kam es zwischen 1851 und 1878 zu einer ersten Straßenkreuzung. Das habe ich in einer Handskizze (als Auszug eines Plans von 1864) im linken Bild unten versucht darzustellen. Im Vergleich zu dem rechten Kartenausschnitt aus dem Jahr 1908 läßt sich feststellen, dass im Verlauf der früheren Verbindungs-Bahnstrecke in diesem Abschnitt die Johannisallee entstand. Der ,,Neue Friedhof“ wurde später der ,,Neue Johannisfriedhof“ und heute der ,,Friedenspark“.

Reudnitz-Ostplatz4

Die erste Anlage des Ostplatzes entstand etwa zwischen 1885 und 1890. Die Bebauung erfolgte bis zum Anfang des 20. Jahhunderts. Interessant ist, dass es heute nur noch die Hausnummern Ostplatz 4 und 5 auf der nordöstlichen (Reudnitzer) Seite gibt. Auf dem Stadtplan von 1908 ist noch das quer stehende Gebäude Ostplatz Nr. 1 auf der südwestlichen (Leipziger) Seite zu sehen, das damals zur Universität gehörte.
In der Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig kann man online alte zwei Postkarten vom Ostplatz aufrufen, die Links habe ich hier verknüpft:
Postkarte um 1900: und Ostplatz um 1925:

Zum Vergleich habe ich in dieser Woche versucht die Postkarten-Blicke aktuell nachzuvollziehen. Daraus entstanden die Bilder: links im Vergleich zur Postkarte um 1900 und rechts zu der etwa 1925 aufgenommenen Straßensituation.
Kleine Anmerkung noch zu den Straßenbahn-Schienen (Postkarte von 1900 und Plan von 1908): Als ,,Rote Linie“ fuhren damals die  6, 7 und 9 aus Richtung der Johannisallee kommend über den Ostplatz in die Oststraße und ein gemeinsames Gleis mit der ,,Blauen“ nutzend Richtung Riebeckstraße bzw. Stötteritz. Als ,,Blaue Linie“ fuhren die F– und die P-Bahn aus der Stadt (Hospitalstraße) kommend über den Ostplatz  zum neuen Süd-Friedhof bzw. nach Probstheida – ein richtiger und wichtiger Leipziger Verkehrsknoten. Später ,,kreuzte“ hier auch zeitweise die O-Buslinie A (jetzt der 60er Bus) den Ostplatz und heute fährt hier die Straßenbahnlinie 15, teilweise auch die 12.

2. das Mietshaus Ostplatz 4
Es wurde im Zeitraum zwischen 1895 und 1900 in halboffener Bebauung in derEcklage Oststraße mit einem Eckladen errichtet. Es weist eine Klinkerfassade und Stuck im Eingangsbereich auf.
Das Haus wird in der Liste der Leipziger Kulturdenkmäler (herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen) unter der Objekt-ID 09263424 geführt.

Reu.C165P_Ostpl.4-3 Reu.C165P_Ostpl.4-2

Frage: wer hat da gewohnt und was wurde im Eckladen verkauft?

Ostpl.4-EckladenAndreas Hönemann hat hierzu folgendes recherchiert und ermittelt:

  •  Von 1901-1902 gab es dort ein ,,Cigarren-Special- u. -Versandt-Geschäft“ von Alfred Mammitzsch. Dieses wurde ab 1903 von Alfred Elste als Zigarrenhandlung bis 1930 weiterbetrieben. 1931 übernahm (seine Frau?) den Laden, da Herr Elste wohl verstorben war. Laut Adressbuch führte eine Witwe mit Namen Helene Elste das Geschäft bis 1937 weiter, ab 1938 war Helene Gutheil Inhaberin der Zigarrenhandlung.Ob hier eine neue Inhaberin am Werk war, oder die Witwe neu geheiratet hat, bleibt Spekulation.Eintrag Leipziger Adreßbuch 1923Eintrag Leipziger Adreßbuch 1942
    Fest steht, dass es die Zigarrenhandlung Helene Gutheil noch 1949 gegeben hat. Im nächsten vorliegenden Branchenfernsprechbuch von 1955 wird am Ostplatz 4 kein Tabakwaren- oder Zigarrengeschäft mehr erwähnt.

Anmerkung: Herr Alfred Elste etablierte zudem ab 1908 mit seinem Bruder Willy die Firma Gebrüder Elste Etuisfabrik, welche bis 1914 betrieben wurde. Leider lässt sich nicht herausfinden, welche Etuis dort fabriziert oder gehandelt wurden.

In meiner Erinnerung befand sich Anfang der 1990er Jahre in dem Eckladen am Ostplatz zuletzt Geschäft mit Elektronik-Bastelbedarf – vielleicht weiß jemand mehr?

Wer wohnte oder residierte noch in diesem Haus?

  •  1909 bis 1910 die Buchhandelsfirmen von Hermann Beyer: C. Bange Verlagsbuchhandlung, Ed. Wartig’s Verlag Ernst Hoppe ggr. 1877 und Hermann Beyer Verlags-, Sortiments- u. Kommissions-Buchhandlung und die Firma Arthur Giegler Verlagsbuchhandlung. 
  •  Ab 1919 residierte am Ostplatz 4 die Firma Bading & Co. GmbH von Frau Käthe Bading, welche vermutlich mit chemischen und technischen Produkten handelte. Diese Firma war dort bis 1936 ansässig.
    Von 1920 bis 1924 befand sich die General-Agentur für Sachsen der „Kölnische Glas-Versicherungs AG“ im Haus.
  •  Ab 1936 gab es hier eine Zahnarztpraxis von Dr. Richard Ohme. Er hatte Mo-Fr von 09-14 und 16-19 Uhr sowie Sonnabend!!! von 09-15 Uhr Sprechstunde. Mit dem Samstag-Service war 1938 Schluss, von da an ging dies nur noch auf Vereinbarung. 1948 ist Dr. Ohme nicht mehr im Zahnarztverzeichnis des Adressbuchs zu finden.
  •  1936 verlegte Rudolf Lippold sein Bedachungsgeschäft aus der Reitzenhainer Str. 137a an den Ostplatz 4. Vermutlich handelt es sich hier aber nur um das Büro und vielleicht auch die Wohnung.Eintrag Leipziger Adreßbuch 1943Die beengte Hofsituation lässt dort kaum eine gewerbliche Nutzung zu. Der Dachdeckerbetrieb Ernst Rudolf Lippold war aber noch 1988 laut Branchenfernsprechbuch am Ostplatz 4 ansässig!

Heute wird dieses Haus in der Liste von städtebaulich und denkmalpflegerisch unverzichtbaren Gebäuden (Wohngebäude und wohnhausartige Geschäftshäuser) mit überwiegend akutem Sicherungsbedarf geführt.
In der aktualisierten Ausführung dieser Liste vom Januar 2006, findet man dort mit Stand Juni 2014 den Eintrag: Nr. 89 – Ostplatz 4.


Anmerkung:
Die Leipziger Stadtteilexpeditionen, initiiert von Diana Wesser & Antje Rademacker sind sehr interessant und empfehlenswert: die nächste findet übrigens aktuell unter dem Thema ,,Lenes Nachbarn – die andere Seite von Reudnitz“ in der Zeit vom 23.–30. April 2016 statt. Dabei geht es um den Reudnitzer Süden … und dazu zählt ja auch der Ostplatz.

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