Runkiplatz (1)

Früher in den 1980er Jahren gab’s auf dem Otto-Runki-Platz einen Frischmarkt mit Namen ,,Vitaminbasar“.
Was gibt’s denn da unten an der Ernst-Thälmann-Straße zu kaufen? Na klar, frische Erdbeeren aus der Region und da sind wir auch mal schnell über die Straße geflitzt und haben uns angestellt.
Nebenstehendes Bild vom Runkiplatz habe ich an einem späten Nachmittag im Mai 1987 aufgenommen.

Gab’s dort schon immer einen grünen Platz? Da könnten wir mal kurz zurück blicken …

 

Teil 1: vom der Schönefelder Feldflur zum Lampe-Karree

Ganz früher war im 12./13. Jahrhundert gab es hier im Gebiet zwischen einem sumpfigen Grabenbruch im Norden (Richtung heutiges Schönefeld), der Parthe im Westen und der Rietzschke (genauer die östliche Rietzschke) im Süden wahrscheinlich nur eine mehr oder weniger landwirtschaftlich nutzbare Wiesen- und Gestrüpp-Landschaft. [Quelle #1]
Es gibt auch Hinweise auf eine frühe slawische Besiedlung [Quelle #2] und eine etwas mystische alte Flurbezeichnung Rabeth oder Rabet für dieses Gebiet [dazu vielleicht mehr in einem zukünftigen Beitrag].
Aus dem Sächsischer Meilenplan vom Jahr 1802 [Quelle #3], siehe Ausschnitt links, läßt sich das noch gut erkennen. Auf diesem Plan ist Nordwesten etwa oben, in der Mitte die Feldflur das Rabeth und das Flüßchen Rietzschke zu sehen. Die Rietzschke fließt zwischen Reudnitz und Volckmarsdorf faktisch vom unteren in Richtung zur Parthe zum oberen Blattrand.
Grund und Boden gehörten damals zu den Feldern des Ritterguts Schönefeld, deren südlichste Feldparzelle Nr.180, lt. Flurbuch Schönefeld, bis an das Flüßchen Rietzschke reichte (siehe Beitrag vom Okt. 2014). Ab 1831 wurde dieses Feld für Bauspekulationen freigegeben, weil durch den fortschreitenden Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahnlinie eine Bewirtschaftung des Bodens zunehmend unrentabel erschien. Aus Bauland ließ sich in dieser Zeit der einsetzenden industriellen Entwicklung viel mehr Gewinn erzielen. Im Jahr 1838 wurde der erste Bauplatz an einen Zimmermeister verkauft, im Frühjahr 1840 wurde das erste Wohnhaus am Kirchweg (heute Hermann-Liebmann-Straße) bezogen. Im Jahr 1843 waren bereits 15 Häuser aufgebaut und im Jahr 1844 wohnten hier etwa 300 Menschen.

Auch bekannte Leipziger Bürger wie Gustav Harkort oder der Stadtrat Carl Lampe kauften zum Teil beträchtliche Baugrundstücke auf der ehemaligen Feldparzelle. Darüber schrieb später der Neuschönefelder Gemeindevorstand Moritz Weißbach:
,,… bis der Stadtrath Carl Lampe in Leipzig in verschiedenen Zeiträumen eine große Fläche Bauareal – 12 Acker ungefähr – käuflich an sich brachte.“ und ,,Der Ort bildet ein Dreieck und … hat eine Gesamtgrundfläche von 12 Hectar 62 Ar.“ [Quelle #4]

Da könnte man beinahe annehmen, dass 12 Acker und 12 Hectar fast gleich klingen – oder?

Deshalb hier eine kurze Nebenbetrachtung zu den alten Maßeinheiten:
1 sächs. Acker = 2 sächs. Morgen = 300 Quadrat-Feldmesserruten entspricht umgerechnet etwa 5.534 m².
Die Lampe’schen-Parzellen umfassten wie genannt 12 sächs. Acker = 12* (5.534 m²), das ergibt etwa 66.411 m².
Bei der Gesamtfläche von Neuschönefeld von 12 Hektar und 62 Ar = 126.200 m² entspricht das insgesamt einem Anteil von 52,6 % Neuschönefelds.
Fazit: Carl Lampe gehörte in den 1840er Jahren über der Hälfte  Neuschönefelds (!).

Die neuangelegten Straßen in ,,seiner Colonie“ benannte Carl Lampe kurzerhand nach den Namen seiner Kinder:
Georg Victor,     *11.06.1833 – 1883
Sophie Victorie, *29.07.1834 – 1901
Carl Victor,        *02.11.1836 – 1907
Philipp Victor,    *01.04.1839 – 1871
Rudolf Victor,    *03.09.1842 – 1848
Marie Victorie,  *22.05.1844 – 1896

[Anmerkung: All diese Lampe’schen Straßennamen sind heute aufgrund von Umbenennungen, Abriss oder Überbauung nicht mehr erhalten.]

über Straßenbezeichnungen und Hausnummerierungen
in den Jahren 1880 und 1902

An der damaligen Eisenbahnstraße gab es in den 1840er Jahren auch ein fast quadratisches Baufeld , das mit etwa 80 x 80 m² die Fläche des heutigen Otto-Runki-Platz bildet. Dieses Lampe-Karree wurde damals durch die Carl-, Philipp- und Rudolphenstraße begrenzt (Namen von Lampe-Söhnen, siehe Liste oben). Weil es aus diesem Zeitraum keinen detaillierten Plan dieses Gebietes gibt habe ich versucht für das Jahr 1879/80 eine Bebauungsskizze (unten links) zusammenzustellen [Quelle #5]. Für diesen Zeitraum läßt sich aus dem Adressbuch für Neuschönefeld folgern, dass sich auf dem Lampe-Karree 16 Grundstücke mit etwa 20 bewohnten Gebäuden befanden. Die Nummerierung der Gebäude erfolgte damals nach den Brandkatasternummern. Zusätzlich habe ich zur besseren Orientierung auch die Flurbuchnummern in Klammern angegeben, weil insbesondere in amtlichen Unterlagen damals und auch heute die Flurbuchnummern verwendet werden. In der Skizze auf der rechten Seite habe ich die Bebauung dieses Areals bis Ende des Jahres 1902 nachgetragen.
Links also, kurz gesagt: die Bebauung vor der Eingemeindung von Neuschönefeld zu Leipzig (1890) und rechts der Bebauungszustand (und die ersten Straßenumbenennungen) nach der Eingemeindung. [Quellen #6 und #7]

Folgende Anmerkungen:

  • In der Skizze für das Jahr 1879/80 habe ich noch den Verlauf der Leipzig-Dresdner Eisenbahnstrecke neben der Eisenbahnstraße mit angegeben. Ab dem Jahr 1879 verlief die Strecke nördlich der Wohngebiete von Neustadt, Neuschönefeld und Volkmarsdorf (wie auch heute noch).
  • Ab der Eingemeindung der Ostvororte zu Leipzig (1. Januar 1890) wurde die Eisenbahnstraße einheitlich durch alle Randgemeinden durchnummeriert, rechts die geraden, links die ungeraden Hausnummern. Bis dahin gab es jeweils eigene Nummerierungen in Reudnitz, Neuschönefeld, Neustadt, Volkmarsdorf und Sellerhausen.
  • Ab 14.03.1901 wurde der Neuschönefelder Straßenabschnitt der Carlstraße der Neustädter Straße (frühere Hauptstraße von Neustadt) angegliedert.
  • Die Neuschönefelder Hausnummerierung erfolgte auch im Jahr 1902 noch uneinheitlich. Wie aus der rechten Skizze (1902) ablesbar, wurden die Häuser in der Philipp– und der Rudolphstraße links beginnend aufsteigend bis zum Ende der Straße und auf der rechten Seite zurück nummeriert. Bei den gemeindeübergreifenden Straßenverläufen der Eisenbahn-, Conrad- und  Neustädter Straße erfolgte die modernere (heute übliche) Durchnummerierung, rechts die geraden, links die ungeraden Hausnummern.
  • Das im Jahr 1884 eigeweihte neue Schulgebäude von Neuschönefeld (Neustädter Straße 1) ist in der rechten Skizze (1902) als ..exterritorial“ eingezeichnet, es befindet sich auf Reudnitzer Gemeindegebiet, weil in Neuschönefeld kein freies Baufeld mehr vorhanden war.
  • In der Eisenbahnstraße verkehren die ,,blauen“ Straßenbahnlinien S (Plagwitz – Sellerhausen) und V (Kleinzschocher – Sellerhausen).

über Besitzverhältnisse, Handel und Gewerbe
in den Häusern des Lampe-Karrees an der Eisenbahnstraße [Quellen #6 und #7]
Aus den Adreßbüchern der Jahre 1866, 1880, 1892 und 1903 habe ich versucht ein paar Angaben zu Besitzer, Handel und Gewerbe der Betreffenden Gebäude an der Eisenbahnstraße gegenüberzustellen. Das betrifft die Hausnummern Eisenbahnstraße 32 bis 42 (gemäß Bezeichnung von 1890 bis 1902). Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass die Eigentumsverhältnisse über die vielen Jahre relativ stabil waren.  Die Familien Voigt, Plaul, Sachse, Leonhardt, Laue waren über 20 Jahre Hausbesitzer.

Es gab dort eine Reihe unterschiedlicher Händler und Gewerbetreibender: Kürschner (Pelzhersteller und -händler), Schneider, Uhrmacher, eine Gaststätte (zur alten 38), Topfwarenhändler, Barbiere und andere, die sich über einen lange Zeitraum mit Handel und Gewerbe behaupten konnten.

Abkürzungen: AB – Adressbuch, BKN – Brandkatasternummer, FBN – Flurbuchnummer, E – Hauseigentümer, vw. verwitwet

(Fortsetzung im Teil 2 folgt)


Literatur- und Quellenverzeichnis:

Quelle #1:   … über die Rietzschke, Kohl, Goethe und Napoleon, online anschaun: https://wortblende.wordpress.com/2014/11/06/uber-die-rietzschke-kohl-goethe-und-napoleon/

Quelle #2:   Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs, 7. Band, Leipzig 1904, Max Näbe: Die vorgeschichtliche Besiedlung der Leipziger Gegend, S. 27 mit slawischer Siedlung auf Neustädter Gebiet

Quelle #3:   Karte der Leipziger Umgebung [Friedrich Ludwig Aster: Leipzig. Blatt 19 aus: Meilenblätter von Sachsen 1802, Quelle Wikipedia]

Quelle #4:   Moritz Weißbach: Geschichte der Gemeinde Neuschönefeld, 1890

Quelle #5:   Skizze nach Katasterkarte der Flur Neuschönefeld RRA 4949 aus der Diplomarbeit Marina Geyer: Die Entwicklung der Gemeinde Neuschönefeld …, Uni Leipzig, Sektion Geschichte, 1983 und Plan von Leipzig 1903, bearbeitet von der Vermessungsabtheilung des Tiefbauamtes, nachgetragen bis Ende Juli 1902 (aus dem Archiv des Verfassers)

Quelle #6:   Adreßbuch sämmtlicher Einwohner der Vororte von Leipzig, Verlag Licht & Meyer, Leipzig, 1880, Neuschönefeld ab Seite 487, online  über SLUB: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/169882/537/0/

Quelle #7:   Adreßbuch Neuschönefeld 1866 und weitere Adreßbücher der Stadt Leipzig 1892, 1903, über SLUB (online): http://adressbuecher.sachsendigital.de/suchergebnisse/adressbuch/Book/search////cache.off

 

 

4 Gedanken zu “Runkiplatz (1)

  1. Oh, frische Erdbeeren, da ist man wirklich gerannt, wie man auch an der jungen Frau mit der gelben Hose sieht. Aber was mich zum Grübeln bringt, dieses junge Paar links vom Vitaminbasar, mit einem kleinen Tisch und drei Taschen; verkaufen die etwa auch was privat aus ihrem Garten? Wäre das möglich, 1987 in der DDR?

    Like

    • Damals gab’s Erdbeeren auch nur zur Erntezeit – also von Mitte Mai bis Ende Juni und nicht wie heute das ganze Jahr über. Die einheimische Ernte kam tagesfrisch direkt von den Feldern der Leipziger Umgebung. Von den leckeren Erdbeeren konnte man damals nicht genug kriegen.
      Übrigens: das Bild ist gerade wegen ,,der jungen Frau mit der gelben Hose“ entstanden …
      Die zwei mit dem kleinen Tisch habe, glaube ich, Blumen verkauft, das war privat möglich.

      Like

  2. Hallo
    Schade das keine Photos von der Lorenzstr. 1 vor dem Abriss dabei sind.
    Ich Baujahr 64 habe dort einige Jahre bis zum abriss mit meiner Mutter meinem Bruder gelebt.

    Danke für deine Seite
    Achim Quack

    Like

    • Tipp: im Museum für Stadtgeschichte gibt es ein paar Schwarz-Weiß-Bilder von Harry Raphaelis aus dem Jahr 1979, auf denen die Häuser rund um den Runkiplatz abgebildet sind.
      Am besten in der Bibliothek nachfragen – kostet nix.
      Andererseits, warum habt Ihr damals nichts fotografiert?

      Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..