Marktplatz in Volkmarsdorf (1)

Der heutigen Volkmarsdorfer Markt erscheint mir so gar nicht als Zentrum eines Ortes, was ja eigentlich einen Marktplatz ausmachen sollte.
Rings um die Lukaskirche stehen viele zwar farbig gestaltete, aber doch gleichförmige sechsgeschossige DDR-Neubauten des Typs WBS70 und es sind auch noch ein paar restaurierte Altbauten zu sehen. Vor der Kirche gibt es einen Spielplatz, aber am Platz insgesamt kaum richtige Geschäfte.
War das schon immer so?

Im Jahr 1902 – ein Markt der Vielseitigkeit

Als Ausgangspunkt für eine historische ,,Marktanalyse“ habe ich als ältesten detaillierten Plan ein Exemplar meines Großvaters Gerhard Stein aus dem Jahr 1903 mit Nachträgen bis Ende Juli 1902 vorliegen. [Quelle #1] Darin ist auch der Volkmarsdorfer Marktplatz, der damals nur schlicht ,,Markt“ hieß, mit seiner damaligen Bebauung gut auszumachen. Zur besseren Orientiertung habe ich in diesen Plan alle Hausnummern der Gebäude und Freiflächen rings um den Markt zusätzlich mit eingetragen.

Um zu ermitteln, welche Handels- und Gewerbetätigkeit in diesen Gebäuden angesiedelt war habe ich im Leipziger Adreß-Buch (LAB) des Jahres 1903 im Abschnitt für die Vororte von Leipzig nachgeschlagen. [Quelle #2] Die dort enthaltenen Angaben sind in der Regel bis Ende Oktober 1902 aktualisiert, sodass man mit Hilfe dieser beiden Quellen eine Analyse der Handels- und Gewerbetätigkeit mit Stand Herbst 1902 ermitteln kann.

Ich beginne mit den Gebäuden im Nordwesten des Marktes in der Wilhelmstraße (heute Zollikofer Straße) und fahre dann in Uhrzeigerrichtung mit den Gebäuden in der Lucasstraße, Ewaldstraße bis zur Elisabethstraße fort.
Anmerkung: Die Hausnummern der Wilhelm- und Ewaldstraße begannen damals an der Torgauer Straße mit der Nummer 1 und verliefen aufsteigend in stadtwärtiger Richtung.

Fazit:
Im Herbst des Jahres 1902 herrschte rings um den Markt eine rege und vielseitige Handels- und Geschäftstätigkeit, es gab unter anderen:

  • fünf Gaststätten,
  • zwei Bäckereien,
  • zwei Gemüseläden,
  • eine Konditorei und
  • einen Fleischer.

und drei Anmerkungen:

  1. Die oben bei den Geschäftsbezeichnungen verwendeten Rechtschreibungs-Regeln entsprecht dem im Jahr 1902 üblichen Standard (Buchstabenfolge 1 zu 1 aus dem LAB entnommen), z.B. ,,Waaren“ mit 2 x ,,a“ und Lucas mit ,,c“.
  2. Die rot gekennzeichneten Gebäude oben im Stadtplan-Ausschnitt weisen auf die heute noch erhaltene alte Marktbebauung hin; es sind neben der Lukaskirche nur die beiden Wohnhäuser Elisabethstraße 13 und 15. Die Bebauung der Brauereifläche (Rühl) erfolgte erst nach dem Jahr 1905.
  3. Die Dampfbrauerei Ferdinand Rühl, siehe auch Beitrag Brache (2), bestand als Volkmarsdorfer Familienunternehmen im Zeitraum von 1864 bis 1904.
    Von der Gründung 1864 an bis zum Jahr 1888 war Ferdinand Rühl der Brauereibesitzer.
    Nach seinem Tod sind ab 1889 in den Adreß-Büchern seine Witwe Emilie Rühl und Richard Rühl (Bruder oder Sohn?) als gleichberechtigte Brauereibesitzer eingetragen.
    Richard Rühl ist in den Adeß-Büchern bis zum Jahr 1897 als Besitzer und Procurist eingetragen, danach sind ab dem Jahr 1898 (Ausscheiden von Richard Rühl aus der Firma ?) Emilie Rühl und Theodor Max Rühl als Besitzer vermerkt.
    Im LAB 1903 wird (nach dem Tod von Theodor Max Rühl) seine Frau Anna Rühl als verwitwete Fabrikbesitzerin aufgeführt – die Brauerei wurde dann offenbar von beiden Witwen Emilie und Anna Rühl bis zum Jahr 1904 weitergeführt. Schließlich erfolgte im Jahr 1904 der Verkauf des gesamten Brauereigeländes an den Konkurrenten Riebeck, siehe Besitzverhältnisse oben im Beitrag unter Elisabethstraße 17-21. Die Brauereigebäude wurden 1904 an Riebeck verkauft und 1905 abgerissen. Das Areal wurde parzelliert und verkauft, es entstanden 12 Neubaue. [Quelle #3]

Literatur und Quellen:

#1 Plan von Leipzig 1903, bearbeitet von der Vermessungsabtheilung des Tiefbauamtes, nachgetragen bis Ende Juli 1902 (aus dem Archiv des Verfassers)

#2 Leipziger Adreß-Buch für 1903, 1. Abtheilung, III. Abschnitt, Vororte, nachgetragen bis Oktober 1902 über SLUB (online): http://adressbuecher.sachsendigital.de/suchergebnisse/adressbuch/Book/list/leipzig/1903/

#3  Informationen von Andreas Hönemann zur Brauerei Ferdinand Rühl in Volkmarsdorf – vielen Dank!

3 Gedanken zu “Marktplatz in Volkmarsdorf (1)

  1. Freunde von mir haben bis 1997 oder so in der Elisabethstr 19 gewohnt (das Eckhaus). Das Haus war schon damals (1993)renoviert. Harald, ich schicke dir ein oder zwei Fotos per email.

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    • Das Eckhaus Elisabethstraße 19 wurde im Jahr 1907 nach dem Abriss des alten Brauereibesitzer-Wohnhauses neu gebaut. Das gegenüberliegende Eckhaus Elisabethstraße 19a wurde im Jahr 1906 gebaut. Beide Mietshäuser sind in der Liste der sächsischen Kulturdenkmäler unter den ID-Nummern 09290742 und 09290743 eingetragen. Dort ist allerdings ein falsches Baujahr (1895) eingetragen. Grüße

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  2. Lieber Harald, vielen Dank für die aufschlussreichen Infos über den Volkmarsdorfer Markt! Meine Urgroßeltern Franz Grzybek und Anna Budisch haben 1899-1904 in der Ewaldstraße 14 gewohnt. Du kennst sicher das Foto zur Ewaldstraße aus dem stadtgeschichtlichen Museum. Weißt du, ob das vorne links vielleicht die 14 ist? LG Thomas Störel aus Borsdorf

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