
In der letzten Woche lief im MDR-Fernsehen eine interessante Doku über die Leipziger Seilbahn-Firma Adolf Bleichert & Co.
Dabei wurde neben der früheren Fabrik in Gohlis auch ein Vorgänger in Neuschönefeld erwähnt.
Dazu sind bisher außer ein paar Notizen und das Bild rechts wenig bekannt.
Gab es eine Fabrik in Neuschönefeld, was wurde dort gebaut, wo hatte sie sich befunden und kann man da heute noch irgendwas sehen?
Diesen Fragen möchte ich hier im Folgenden nachgehen …
Diesmal beginne ich etwas ungewöhnlich mit einem Nachruf. Das hat zumindest den Vorteil, dass in dieser Form meisten alles Wesentliche kurz und präzise zu einer Person zusammengefasst ist und das war auch schon vor 120 Jahren so.
Also, zu Beginn …
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ein Nachruf
zum Tod von Adolf Bleichert (29. Juli 1901) aus der Verkehrszeitung und industrielle Rundschau, aus dem Jahr 1901:
[Adolf Bleichert], geb. am 31. Mai 1845 in Dessau, wirkte zunächst als Ingenieur, später als Oberingenieur in einigen Maschinenfabriken zu Bitterfeld und Schkeuditz, an welch letzterem Platze er ein eigenes Unternehmen zum Bau von Drahtseilbahnen begründete, an welchem vorübergehend sein Socius Otto beteiligt war, während welcher Zeit die Firma ,,Bleichert & Otto“ lautete.
In diesen Zeiten fielen die ersten Versuche zum Bau von Drahtseilbahnen, welche indessen erst ihre eigentliche Verwertung fanden, als Adolf Bleichert im Jahre 1876 in Neuschönefeld bei Leipzig eine Fabrik zum Bau von Drahtseilbahnen – Firma ,,Adolf Bleichert“ – errichtete und hier die Verwertung seines Systems in ebenso intelligenter als ingeniöser Weise durchzuführen begann. In beschränkten Verhältnissen nahm das Unternehmen seinen Anfang, doch bald, nachdem das Etablissement im Jahre 1881 auf einem nördlich von Gohlis belegenen, umfangreichen Areal seinen Sitz gefunden, entwickelte es sich unter der Firma ,,Adolf Bleichert & Co.“ zu einer blühenden Fabrikanlage. [Quelle #1]
Etwas ausführlicher konnte ich zur frühen Firmengeschichte folgendes ermitteln. Am 1. Juli 1874 gründeten die Ingenieure Adolf Bleichert und Theodor Otto die Firma „Technisches Büro Bleichert & Otto, Fabrik für Drahtseilbahnen“ in Schkeuditz (damals noch zu Preußen gehörend).
Noch im selben Jahr wechselte die Firma nach Leipzig. Erste Aufträge erhielt die Firma für eine Zementfabrik in Lebbin, heute Lubin (Polen), und für ein Kreidewerk auf der Insel Rügen. [Quelle #2]
Bereits zwei Jahren später (am 23. August 1876) trennte sich Theodor Otto von Bleichert, um eine eigene Firma zu gründen. Bis zum 1. Oktober 1877 blieb Bleichert der alleinige Inhaber des Ingenieurbüros, das er dann eine kleine Werkstatt in Neuschönefeld mietete und hierdurch den ersten Schritt zur Eigenfabrikation wagte. [Quelle #3]
Im Jahr 1877 wurde der Kaufmann Heinrich Piel, ein Schwager Adolf Bleicherts, Mitinhaber und Prokurist (Kaufmann mit weitreichenden Befugnissen) der Firma. [Quelle #2]
Mit etwa 20 Arbeitern begann in der nur 200 m² großen Werkstatt die Eigenproduktion der benötigten Maschinenteile. Im Büro, das [von der Weststraße 55] in die Humboldtstraße 30 verlegt wurde, beschäftigte er 6 kaufmännische und technische Mitarbeiter. [Quelle #4]
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In den Handelsregistereinträgen aus den Leipziger Adressbüchern (LAB) der Jahre 1876, 1877 und 1880 sind aber nur Angaben zum ,,Technischen Bureau. Fabrik von Drahtseilbahnen“ und Angaben zu den Firmeneigentümern enthalten. Angaben zur Adresse der Fabrik oder Werkstatt wurden nicht gemacht.
Wo könnten die Produktionsräume in Neuschönefeld gelegen haben?
Bleichert in Neuschönefeld
Einen ersten Hinweis habe ich den Aufzeichnungen des Lokalhistorikers Moritz Weißbach aus dem Jahr 1890 gefunden, siehe auch Blogbeitrag vom Juli 2019 genannt wurden. Dort heißt es:
Ein neues Etablissement entstand im Jahr 1882, wo die Firma Driver & Töpfer eine Pianoforte-Mechanikfabrik errichtete, die bisher wesentlich vergrößert wurde. Vordem wurden diese Räumlichkeiten zu einer Maschinen- und Drahtseilbahnfabrik von A. Bleichert benutzt und länger vorher zu verschiedenen Zwecken von Geinitz & Richter, Berhardi und seit 1866 von Geimler & Ziegler. [Blogbeitrag ,,Gold …“ und Quelle #5]
Ein Vergleich der oben im Beitrag gezeigten Skizze der Bleichert-Fabrik (links) mit der Zeichnung der Fabrik von Driver & Töpfer aus einem Zeitschrifteninserat aus dem Jahr 1907 (rechts) zeigt bei den mittleren Hofgebäuden eine auffallende Ähnlichkeit. Die Fabrikräume von Driver & Töpfer befanden sich früher in der Eisenbahnstraße 16 und 18.
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Folgt man historischen Aufzeichnungen, Unterlagen und Adressbüchern im Zeitraum von 1876 bis 1881, dann handelt es sich bei der heutigen Eisenbahnstraße 16 und 18 um die Grundstücke oder genauer die Flurstücke mit der alten Hausnummerierung (ex) Eisenbahnstraße Nrn. 3 und 4.
Für die alte Fabrik bzw. Werkstatt von Bleichert in Neuschönefeld ist deshalb in alten Unterlagen die frühere Bezeichnung Eisenbahnstraße 3 anzutreffen:
- … im bisherigen Firmensitz Eisenbahnstraße 3 in Neuschönefeld … [Quelle #4] und
- … In der Eisenbahnstraße 3 in Neuschönefeld bei Leipzig wird eine Werkstatt für 20 Arbeiter in einer Maschinenfabrik gemietet. [Quelle #5]
Die Werkstatt in der Neuschönefelder Eisenbahnstraße 3 erwies sich bald als nicht ausreichend und auch nicht als erweiterungsfähig. Deshalb erfolgte im Jahr 1881 der Umzug der gesamten Firma nach Gohlis.
Am 1. Oktober 1881 wurden dort die neuen Fabrikräume zusammen mit der Lieferung der 100. Drahtseilbahn, die nach der Schweiz geliefert worden war, ausgiebig gefeiert.
Zu diesem Zeitpunkt hat die Firma 20 Angestellte und 70 Arbeiter.
Mit dem Umzug nach Gohlis wird die Firma in eine offene Handelsgesellschaft (OHG) umgewandelt und in das Handelsregister beim Amtsgericht Leipzig neu eingetragen. Sie erhält den Namen: Adolf Bleichert & Co. Gohlis. [Quellen #2 und #3]
was ist heute geblieben?
In der folgenden Skizze und dem Kartenausschnitt habe ich versucht die ursprüngliche Lage des Grundstücks mit der Flurbezeichnung Eisenbahnstraße 3 in eine aktuelle Openstreetmap-Karte zu transferieren.
Das klappt ganz gut und ergibt wie auch schon angedeutet eine sehr wahrscheinliche Übereinstimmung des früheren Grundstücks der Neuschönefelder Flurnummer 3 mit der Lage des heutigen Grundstücks Eisenbahnstraße 16.
Im Dezember 1943 wurden die Gebäude in der Eisenbahnstraße 16 und 18 beim großen Bombenangriff auf Leipzig zerstört.
Lange Zeit gab es dort in der Ernst-Thälmann-Str. 16 noch einen Flachbau, der zum Eingangsbereich von Foto-Brüggemann im Hinterhof führte, siehe Bild rechts
Von den alten Gebäuden ist heute aber nichts mehr vorhanden.
Das Grundstück wurde Anfang der 2000er Jahre neu bebaut, seit dem Jahr 2008 befindet sich in der Eisenbahnstraße 16 das Pflegeheim „Haus im Rosengarten“. Im Betreuten Wohnen gibt es jetzt schöne, helle Wohnungen mit Balkon und moderner Ausstattung.
Familiärer Nachtrag
09.02.2021: Kürzlich habe ich in unserer Familien-Chronik nachgeschlagen und tatsächlich zwei Vorfahren entdeckt, die einst in der Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig gearbeitet haben:
- Pauline Lina Löffler (*1871), eine Schwester meiner Urgroßmutter Marie Stein (geb. Löffler), hatte um 1890 Wilhelm Ziegenhorn geheiratet, der nach 1893 als Lohnbuchhalter bei Adolf Bleichert & Co. in Leipzig beschäftigt war.
- Ida Agnes Stein (*1876), eine Schwester meines Urgroßvaters Bruno Stein, hatte mit ihrem seit 1898 verheirateten Mann Friedrich Schmidt einen Sohn Fritz Schmidt, der um 1920 herum als Schlosser in der Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig gearbeitet hat.
Literatur und Quellenverzeichnis
Allgemeines, Blog-Literatur:
Fotos, Skizzen zu Gebäuden aus einem Wikipedia-Beitrag zu Adolf Bleichert & Co.
Kartenausschnitt von openstreemap
Fotos und Skizzen aus eigenem Bestand
Außerdem habe ich bei den Recherchen digitale Adressbücher und Zeitungsausschnitte aus der Leipziger Tageblatt und Anzeiger, beides aus dem Bestand der SLUB Dresden genutzt.
MDR-Fernsehsendung ,,Der Osten – Entdecke wo du lebst – Seilbahnkönig & Tagebaugigant – Ein Leipziger Jahrhundertwerk“, vom Di 19.01. 21:00 Uhr (44:30 min)
Blogbeitrag Gold … für Neuschönefeld, vom Juli 2019
Quellen:
Quelle #1: Verkehrszeitung und industrielle Rundschau, Band 15, W.H. Uhland, 1901
S. 158: Nachruf auf Adolf Bleichert
Quelle #2: Die Unternehmensgeschichte der Firma Bleichert (Industrialisierung in Sachsen), online erreichbar unter EDUdigitaLE bzw. cdn.knightlab
Quelle #3: Adolf Bleichert & Co. Leipzig, zum fünfzigjährigen Bestehens am 1. Juli 1924,
Firmenschrift Leipzig, 1924, S. 14, online SLUB
Quelle #4: Adolf Bleichert und sein Werk, Manfred Hötzel, Sax.Verlag, 2002, Seiten 12 und 57
Quelle #5: Moritz Weißbach: Geschichte der Gemeinde Neuschönefeld, 1890, Abschnitt X. zu Gewerbs-, Fabrik-, Handels- und Verkehrswesen, S. 22