
Nachtrag – oder besser Nachschlag?
Nach Veröffentlichung des Bleichert-Beitrags ist mir die Kopie einer alten Postkarte aus der Schweiz faktisch auf den Tisch geflattert. Diese Postkarte mit der schlichten Anschrift ,,Herrn Bleichert & Otto, Leipzig“ und einem Schaffhausener Poststempel vom ,,11 X 76 X“ (siehe Bild links) hat es in sich – ein wahres Nachschlag-,Schmankerl‘ aus dem Jahr 1876 (!!!).
Das ist doch ein lohnender Anlass nochmals in den Geschichtsbüchern, Aufzeichnungen und Archiven nachzuschlagen …
Zuerst geht es hier um eine kleine Analyse der interessanten Postkartenkopie mit all den darauf sichtbaren Marken, Stempeln, Texten und Anmerkungen.
Postkarte aus der Schweiz nach Leipzig
Postalisch gesehen handelt es sich bei der Postkarte aus der Schweiz um eine Ganzsache, weil eine Briefmarke bereits auf der Karte aufgedruckt war.
Zuerst zur Post-Laufzeit. Die Laufzeit kann man in Etwa aus den Poststempeln und Zustellvermerken auf der Karte ablesen. Von der Vorderseite hab ich hier die drei Stempel mal virtuell ausgeschnitten und abgebildet:
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Links die Briefmarke: auf der 5 Rappen Ganzsachen-Postkarte eine 5 Rappen Zufrankatur (10 Rappen beträgt die Auslandsgebühr ins Deutsche Reich) – als Briefmarke eine ,sitzende Helvetia‘, schwarzbraun mit einem schwer lesbaren Stempel, der sicher identisch ist mit dem
Stempelbild in der Mitte: ,SCHAFFHAUSEN‘ mit Datum ,11 X 76 X‘ = (meine Deutung) 11. Oktober 1876, 10 Uhr vormittags.
Rechts auf dem Bild der Leipziger ,AUSGABE‘-Stempel: ,5 AUSGABE‘ – 12 10 = 5. Austrage-Termin am 12. Oktober. Laut Leipziger Adreß-Buch gab es im Stadtgebiet im Jahr 1876 acht ,Austragungs‘-Zeiten der Kaiserlichen Postanstalten. Die 5. Austragung fand demnach 3 1/4 Uhr nachmittags (also 15:15 Uhr) statt.
Demnach war die Postkarte aus der Schweiz nach Leipzig sage und schreibe nur 29 Stunden (sicher zum großen Teil als Bahnpost mit der Eisenbahn) unterwegs – für die Zeit von vor 145 Jahren eine fast unglaublich kurze Beförderungszeit!
Zweitens zur Vorder- oder Adressseite der Postkarte. Sie ist hier unten auf der linken Seite abgebildet.
Als Adresse wurde auf dieser ,Carte-correspondance‘ lediglich ,Herrn Bleichert & Otto. Leipzig‘ angegeben.
Leipzig hatte zu dieser Zeit etwa 130.000 Einwohner und da ist es aus meiner Sicht schon bemerkenswert, das diese Postkarte ohne Verzögerung zugestellt werden konnte.

Offenbar kannten die Postämter Ihre Kunden gut oder hatten, für den Fall der Fälle, das aktuelle Leipziger Adreß-Buch von 1876 zur Hand …
Und drittens zur inhaltsreichen Text-Rückseite. Dort steht folgender handschriftlicher Text (ich hab das mal ins ,lesbare Normalschrift übersetzt‘):

Zu diesem Text ein paar Anmerkungen:
- nochmals zur Post-Laufzeit: links unten ist der ,10.Okt. 76‚ als Ausgangstermin der Karte im Eisenwerk Lauffen und in der Kartenmitte ist im Kreis ,12/10‚ (12. Oktober) als Post-Eingangstermin bei Bleichert in Leipzig angegeben. Das unterstreicht die schnelle Zustellungszeit.
- als Adressaten wurden auf der Postkarte die Herren Bleichert & Otto genannt. Ist das korrekt? – Dazu mehr im folgenden Abschnitt ,Drahtbahnen aus Leipzig‘.
- die Anzeige im ,,Maschinenconstucteur“ bezieht sich auf die Zeitschrift ,Der practische Maschinenbau-Constructeur‘, die zweiwöchig bei Uhland in Leipzig erschien. Zunächst hatte ich die Jahrgänge 1875 und 76 (im online-Archiv von Google) durchgesehen, aber keinen passenden Artikel entdeckt. Im Jahr 1874 war aber im Heft 18 (wie erwähnt) unter der Rubrik ,Notizen aus der Praxis‘ ein Artikel über eine ,Drahtbahn‘ vom Ingenieur A. Bleichert erschienen, siehe die folgenden Abbildungen. [Quelle #1]
Auf den genannten Drahtbahn-Artikel komme ich später nochmals zurück. - als Unterzeichner stehen auf der Postkarte die Namen J.G. Nehers Söhne und L. Peyer. Dabei handelt es sich um die Söhne des im Jahr 1858 verstorbenen Eisenwerks-Besitzers Johann Georg Neher: Johann Conrad und Georg Robert Neher sowie den Prokuristen der Firma Bernhard Ludwig Peyer.
ppa – lat. heißt per procura - das genannte Eisenwerk Lauffen (heute Laufen mit einem ,f‘) befand sich direkt am Rheinfall von Schaffhausen – die Geschäfte gingen in den 1870er Jahren nicht mehr so gut, deshalb sollte sicher eine ,Drahtbahn‘ zu Einsparungen führen … [Quellen der letzten beiden Punkte – wikipedia]
Da ich gerade beim Thema Drahtbahnen bin, hier noch ein paar Zeilen zu den ersten …
Drahtbahnen aus Leipzig
Wie bereits im Seilbahn-Beitrag ausgeführt, begann die Geschichte der Firma Bleichert im Jahr 1874, als der junge Ingenieur Adolf Bleichert 1874 mit seinem Studienkollegen Theodor Otto in Schkeuditz bei Leipzig ein kleines Ingenieurbüro gründete. Neben den beiden Inhabern gab es anfangs nur 1 oder 2 Mitarbeiter und nur wenige Aufträge. Im Jahr 1874 entstand eine weithin beachtete Drahtseilbahn für die Vereinigten Sächsisch-Thüringischen Paraffin- und Sodafabriken zu Teutschenthal (bei Halle).
Dazu habe ich zwei interessante Zeitungsartikel entdeckt:
- einer in der bereits genannten Fachzeitschrift ,Der practische Maschinenbau-Constructeur‘ Nr. 18 (September) 1874 und
- ein zweiter in der populären ,Illustrirten Zeitung‘, am 26. September 1874. Dort erschien unter der Rubrik Polytechnische Mittheilungen ein Artikel mit dem Titel ,Die Drahtluftbahn in Teutschenthal bei Halle a.d.S.‘.
Den Artikel zur ,Drahtbahn‘ habe ich im Folgenden gekürzt wiedergegeben und die grafische Darstellung der ,Drahtluftbahn‘ habe ich zur Illustrierung angefügt. [Quellen 1 und 2]
Noch im Jahr 1874 wechselt die Firma nach Leipzig. Im Jahr 1875 wurden Aufträge für 13 Drahtbahnen oder Luftbahnen, wie man die Drahtseilbahnen zunächst nannte, ausgeführt. [Quelle # 3]
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Bereits nach zwei Jahren (am 23. August 1876) trennte sich Theodor Otto von Bleichert, um eine eigene Firma zu gründen.
Anmerkung: Das bedeutet genau genommen für den Text auf der Postkarte, dass die Anschrift und die Anrede ,Bleichert & Otto‘ im Oktober 1876 schon überholt war, weil es statt der Firma Bleichert & Otto zwei getrennte Firmen gab!
Bis zum 1. Oktober 1877 blieb Bleichert der alleinige Inhaber des Ingenieurbüros, das er dann eine kleine Werkstatt in Neuschönefeld mietete und hierdurch den ersten Schritt zur Eigenfabrikation wagte.
[Quelle #2]
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Das kann man auch aus den Handelsregistereinträgen in den Leipziger Adressbüchern (LAB) der Jahre 1876 und 1877 entnehmen. Wie aus den Auszügen ersichtlich, wurden dort allerdings nur Angaben zum ,,Technischen Bureau. Fabrik von Drahtseilbahnen“ und zu den Firmeneigentümern gemacht.
Anschließen noch zwei Zeitungsanzeigen zur Firma Bleichert aus dem jahr 1876. Links eine Anzeige vom 5. März, da ist noch die Rede von den Civil-Ingenieuren Bleichert & Otto und in der Anzeige rechts vom17. September (nach der Trennung) wird nur noch eine Leipziger Firma Adolf Bleichert beworben.
Literatur und Quellenverzeichnis
Allgemeines, Blog-Literatur:
Bild Adolf Bleichert und Mitteilungen zu im Text genannten Personen aus Wikipedia-Beiträgen
Außerdem habe ich bei den Recherchen digitale Leipziger Adressbücher und Ausschnitte aus verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften aus dem Bestand der SLUB Dresden genutzt.
Quellen:
Quelle #1: Fachzeitschrift ,Der practische Maschinenbau-Constructeur‘, erschien in den recherchierten Jahren 1874 bis 76 zweiwöchig bei Uhland in Leipzig, online unter Google-Bücher
Quelle #2: Adolf Bleichert & Co. Leipzig, zum fünfzigjährigen Bestehens am 1. Juli 1924,
Firmenschrift Leipzig, 1924, S. 14, online SLUB
Quelle #3: Adolf Bleichert und sein Werk, Manfred Hötzel, Sax.Verlag, 2002
persönliche Mitteilungen:
Frank Heinrich übermittelte mir die im Beitrag analysierte historische Postkarte der Firma Bleichert & Otto aus dem Jahr 1876. Vielen Dank für deren Nutzung und die Genehmigung dieses Material hier im Blog zu veröffentlichen!
Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Bleichert-Recherche in eigener Sache:
Weil ich in vielen Fällen nur auf den Fundus online erreichbarer Unterlagen zurückgreifen konnte, möchte ich an dieser Stelle auch die vielen ermittelten, aber momentan wegen der Corona-Pandemie nicht erreichbaren Archiv-Materialien nennen, in denen ich gerne noch recherchiert hätte.
Das sind aus den Beständen der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig:
idn 579212262, um 1910, neuen Fabrikanlagen / von Adolf Bleichert & Co., Leipzig-Gohlis [77 Seiten]
idn 587076054, 1915-18, Zeitschrift, Adolf Bleichert & Co. Leipzig-Gohlis ; Spezialfabrik für Drahtseilbahnen [Bericht, 4 Blätter]
idn 577094157, 1949, 75 Jahre Bleichert [3 Bl mit 4 Abb]
idn 587964782, 1913-1917, Zeitschrift, Seilbahn-Kalender der Firma Adolf Bleichert & Co., Leipzig-Gohlis
idn 572909721, 1923, Ein halbes Jahrhundert Drahtseilbahn-Bau: 1874-1924
idn 361081073, 1924, Adolf Bleichert & Co., Leipzig : Rückblick u. Umschau aus Anlaß d. 50jähr. Bestehens
idn 983792356, 2007, Adolf Bleichert und sein Werk : Unternehmerbiografie, Industriearchitektur, Firmengeschichte / hrsg. von Manfred Hötzel und Stefan W. Krieg
und vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig:
Archival 20781,
Signatur 001, 01.10.1881, Rundschreiben
Signatur 049, 24.03.1908, Vortrag von Max Bleichert
Signatur 052, 1875-1923 (24), Kundenregister
Signatur 440 und 441, Juni 1874-Nov 1875/ 1875-1893, 25/26 Fotos
Signatur 442, vor 1901, Adolf Bleichert
sowie Handelsregister-Einträge und Unterlagen zu Adolf Bleichert & Co HR8751
Daraus wäre sicher noch der ein oder andere interessante Quellen-Verweis entstanden …
die akribie deiner recherchen ist einfach bemerkenswert … respekt!
Gruß
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