
Abschließend zum Thema der ,alten Verbindungsbahn‘ in Leipzig möchte ich hier folgenden Fragen nachgehen:
– Was wurde eigentlich nach 1878 aus diesem Bahngelände ,außer Dienst‘ im Leipziger Osten?
– Hat das hier rechts abgebildete Haus auch etwas damit zu tun?
– Und, läßt sich der Verlauf alte Bahnlinie auch heute noch nachvollziehen?
Daher – Interessenten, Experten und Ahnungslose:
bitte mir nach! –>
Kürzlich habe ich beim digitalen Zeitungsstudium einen Artikel aus der Neuen Leipziger Zeitung aus dem Jahr 1936 entdeckt, in dem es um die letzten Tage der alten Verbindungsbahn im Leipziger Osten ging. Demnach behinderte in den 1870er Jahren besonders der Güter-Bahnverkehr den zunehmenden Straßenverkehr auf der Kohlgarten- und Dresdner Straße. Im Artikel heißt es dazu:
,,… An beiden Stellen waren Bahnschranken. Güterzüge, die schleppend und keuchend mehrmals am Tage die Strecke passierten, waren für die Kinder natürlich ein Ereignis. Der Bauverlust der 70er Jahre ließ die Bahnstrecke bald wieder eingehen, das Hinterland wurde gebraucht, und nicht lange Zeit lag der erwähnte breite Graben mit hohem Gras bewachsen einsam da. Die Leute warfen aus ihren Gärten auf diesen freien Durchzug alles das, was man sonst auf den Kehrichthaufen wirft. Scheinbar gehörte niemand dieses Gelände …“ [Quelle #1]
Niemand – stimmt nicht ganz. Alten Unterlagen zufolge war ein Großteil des alten durch Reudnitz verlaufenden Bahnareals nach dem Rückbau der Gleise Eigentum der Gemeinde Reudnitz geworden. [Quelle #2]
Aber, gekümmert hat sich die Gemeinde in den ersten zehn Jahren nach der Stilllegung der Bahnlinie um das Areal nur sehr zögerlich und wenig.
Das wird auch aus einem Stadtplan-Ausschnitt im Bild unten links ersichtlich – ,Neuester Plan von Reudnitz und den angrenzenden Fluren‘ aus dem Jahr 1885. Im Jahr 1885, also reichlich sieben Jahre nach der letzten Fahrt auf der alten Verbindungsbahn, war laut Plan der Bereich der früheren Bahnlinie noch weitestgehend unbebaut. Auf dem Plan steht anstelle der Bahnlinie ,Areal der vorm. Verbindungsbahn‘.
Nur im Abschnitt oben links, zwischen der Äußeren Tauchaer Straße und der Konstantinstraße ist schon ein erster Teil der im Januar 1884 übergebenen Lutherstraße zu sehen. Beim Straßenbau hatten sicher die anliegenden Maschinenbaufirmen auf der Fläche zwischen Kohlgarten- und der neuen Lutherstraße dem Reudnitzer Gemeinderat Druck gemacht, um zu komfortableren Straßenanschlüssen ihrer Firmen zu kommen. Ansonsten bestand zwischen der Kohlgarten- und der Dresdner Straße immer noch der zunehmend vermüllte Graben der Bahnlinie zwischen der Gemeinde- und der Rathausstraße. Das stand ja bereits eingangs im Zeitungsartikel.
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Auch im südlichen Abschnitt der Verbindungsbahn a.D. war das nicht anders. Anstelle der alten Bahnlinie wurde später die Johannisallee angelegt, siehe Karten-Ausschnitt aus dem Jahr 1908, oben rechts. Ab deren Kreuzung mit der heutigen Philipp-Rosenthal-Straße schwenkte die Bahn früher im spitzen Winkel nach Süden zur Sächsisch-Bayerischen Bahnlinie ab. Zur besseren Erkennbarkeit habe ich auf beiden Karten den Verlauf der alten Bahnlinie farblich hervorgehoben.
Im nördlichen Bereich erfolgte ab dem Jahr 1886 zwischen der Kohlgarten- und der Dresdner Straße schließlich eine Bebauung mit Gemeinde- und Wohnhäusern, siehe nachfolgenden Kartenausschnitt, links. Dazu zählten:
- Rathaus Reudnitz,
- Depot der Gemeinde-Feuerwehr Reudnitz,
- Erweiterung der Schule Reudnitz und auch
- die Eckbebauung Kohlgarten-/ Gemeindestraße (heute: Klasingstr.), im Bild rechts.
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rechts: Reudnitzer Eckhaus Kohlgartenstraße 28 mit Blick in die Klasingstraße, April 2021
An der letztgenannten früheren Straßenecke querte die alte Verbindungsbahn die Kohlgartenstraße und verlief faktisch durch die heutige Häuserecke in Richtung Dresdner Straße. Auf der linken Seite der Straßenecke befand sich das Bahnwärter-Häuschen. Möglicherweise hatte der Bahnwärter hier viel zu tun: wenn sich ein Zug näherte, dann mussten die beiden Bahnschranken zur Kohlgartenstraße geschlossen werden und auch die Zufahrt zur Gemeindestraße gesperrt werden – vielleicht eine dritte Schranke? Das wäre schon krass …
Die an dieser Straßenecke damals neu erbauten vier Häuser stehen übrigens heute alle in der Liste sächsischer Kulturdenkmäler. [Quelle #4] Ich beginne mal mit dem Eckhaus:
Kohlgarten- straße | Kulturdenkmale Neustadt-Neuschönefeld (wikipedia) | Kulturd.-ID | ||
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28 | _ | Mietshaus in ehemals geschlossener Bebauung in Ecklage, Datierung 1880er Jahre, mit Eckladen, Klinker-Putz-Fassade mit Eckerker, baugeschichtlich von Bedeutung | _ | 09291402 |
Ergänzung: die angegebene grobe Datierung mit 1880er Jahre kann ich mithilfe der Adressbücher etwas konkretisieren. Im Adressbuch aus dem Jahr 1889 ist das Eckhaus als Kohlgartenstraße 59b (vermutlich als Neubau) verzeichnet.
Auf dem Häuserbild geht es nach rechts in die heutige Klasingstraße (früher die Gemeindestraße). Schaun wir uns mal die drei angrenzenden Gebäude an:
Klasing- straße | Kulturdenkmale Neustadt-Neuschönefeld (wikipedia) | Kulturd.-ID | ||
---|---|---|---|---|
46 | _ | Mietshaus in geschlossener Bebauung, Datierung 1886, historisierende Putzfassade, baugeschichtlich von Bedeutung | _ | 09294940 |
44b | – | Mietshaus in geschlossener Bebauung, Datierung 1902, zeittypische Klinkerfassade, baugeschichtlich von Bedeutung | – | 09294939 |
44 | – | Mietshaus in halboffener Bebauung, Datierung 1902, mit Tordurchfahrt, Klinkerfassade, baugeschichtlich von Bedeutung | – | 09294938 |
Anmerkung: mit der angegebenen Datierung kann ich mich nicht so recht anfreunden. Auf einer mir vorliegenden Kartenskizze aus dem Jahr 1887 sind die betreffenden Häuser noch nicht verzeichnet. Daher nehme ich an, dass sie frühestens kurz vor dem oben angeführten Eckhaus Kohlgartenstraße (heute) 28 oder erst später gebaut wurden.
Kleiner Tour-Guide
Heute kann man den Verlauf der alten Leipziger Verbindungsbahn mit etwas Fantasie und wenig Vorkenntnissen auf dem Leipziger Stadtplan oder im Straßenverlauf des Leipziger Ostens noch gut nachvollziehen.
Rechts habe ich das Ergebnis mal Freihand in einen aktuellen osm-Kartenausschnitt (OpenStreetmap) eingezeichnet. Der virtuelle Startplatz zur Bahntour soll hier im Beispiel, wie auch bei meinen Stadtteil-Rundgängen im Leipziger Osten, zwischen dem Friedrich-List-Platz und dem Anfang der heutigen Eisenbahnstraße liegen:
- von der Kreuzung Eisenbahn-/ Lutherstraße geht’s Richtung Südosten entlang der Lutherstraße bis zur Kohlgartenstraße,
- quer über die Kohlgartenstraße und durch das Eckhaus Nr. 28 und den westlichen Flügel der August-Bebel-Grundschule nach Süden bis zur Husemannstraße,
- durch das Haus Husemannstr. 3 (früheres Reudnitzer Feuerwehr-Depot) führte die Bahnlinie zwischen der heutigen Klasing- und Reclamstraße hindurch bis zur Dresdner Straße und durch den heutigen Park zwischen Crusius- und Breitkopfstraße (Rollerbahn/ Bunker, Grünfläche) weiter nach Süden bis zum Täubchenweg,
- fast rechtwinklig durch den Lene-Voigt-Park (Gelände des Eilenburger Bahnhofs) in Richtung Südosten bis zur und weiter entlang der Johannisallee bis zur Philipp-Rosenthal-Straße und
- von dieser Kreuzung im geschwundenem Bogen nach Süden zu den Bahngleisen vom Bayerischen Bahnhof etwa in Höhe Semmelweis-/ Alfred-Kästner-Straße. Das war früher für die Verbindungsbahn eine Spitzkehre zum Bayerischen Bahnhof.
Viel Spaß und gutes Gelingen!
Literatur- und Quellenangaben
Quelle #1: Neue Leipziger Zeitung, Mittwoch, 8. Juli 1936: Als die Verbindungsbahn durch Reudnitz fuhr.
Quelle #2: Bauakten Stadtarchiv Leipzig, Nr. 9164, Dresdner Str. 43, Flurstück-Nr. 186/187 Reudnitz
Quelle #3: Stadtplan von Leipzig, 1888, Kartenforum SLUB (Dresden)/ Deutsche Fotothek
Quelle #4: Liste der Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen – Denkmaldokument, Stand: März 2021
Desweiteren:
Stadtpläne, Karten und Bilder aus eigenem Bestand, darunter Plan von Reudnitz 1885, Plan von Leipzig 1908
Verwendung von Recherche-Ergebnissen aus Leipziger Adressbüchern (SLUB Dresden) und von aktuellen Karten von OpenStreetMap
Danke für die Geschichte der Verbindungsbahn(en) 🙂
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