[Im Neustädter Markt Journal, Heft Nr. 13, September 1992 auf den Seiten 2 bis 5 erschienen unter dem Titel:]
Historisches … über Badegelegenheiten in unserer Gegend
Als ich am 21. Juli [1992] die ersten Zeilen dieses Beitrages schrieb, zeigte das Außenthermometer bei uns hier an der Eisenbahnstraße 37,1° C.
Heiße Tage hat es sicher auch in den vorigen Jahrhunderten gegeben. Vielleicht war es bei der offenen Bebauung damals nicht so drückend heiß wie heute in den engen Straßenschluchten unserer Stadt.
Im vorigen Jahrhundert hatten die Vorort-Wohnungen in der Regel kein fließendes Wasser. Alles benötigte Wasser musste mit dem Eimer vom Brunnen auf dem Hof oder in der Nachbarschaft geholt werden.
Die Badelustigen aus unserer Gegend sind da sicher lieber nach Schönefeld zum Rohrteich (die Rohrteichstraße erinnert heute noch daran) oder zu den Parthe-Flussbädern gegangen.
Das Bad Rohrteich (Blick nach Osten) mit Gaststätte und Bootsverleih auf einer Postkarte etwa 1905; auf der rechten Seite die Eisenbahngleise nach Dresden, oben rechte die Bögen der alten Kirchstraßen-Brücke (heute:Hermann-Liebmann-Straße), daneben angedeutet, die Windmühle am Stannebeinplatz.
Das Flüßchen Rietzschke (heute nicht mehr sichtbar überwölbt) war damals schon so stark, verschmutzt, dass man nicht darin baden konnte (geringe Wasserführung, aber viele Abwässer der Dörfer Mölkau, Stünz, Sellerhausen, Volkmarsdorf, Reudnitz, Neuschönefeld und später auch aus Neustadt).
Im ,,Leipziger Dorfanzeiger’‘ vom 26. Mai 1875 kann man dazu folgendes lesen:
,,Bekanntmachung.
Auf Anordnung der königlichen Amtshauptmannschaft Leipzig wird das Baden in der Parthe außerhalb der angewiesenen Badeplätze in Schönefelder Flur in Rücksicht auf die Sittlichkeit hiermit auf das Strengste verboten. Die hiesigen Polizeiorgane sind beordert, genaue Aufsicht zu führen und haben sich Zuwiderhandelnde einer Geldstrafe bis zu 60 Mark oder Haftstrafe bis zu 14 Tagen zu gegenwärtigen. Schönefeld, den 20. Mai 1875.
Der Gemeindevorstand W. Richter“
Damals waren 60 Mark sehr viel Geld. Dafür konnte man zum Beispiel eine ganze Wohnung für ein Jahr mieten, ein Kilogramm Butter kostete 3 Mark, ein Brötchen 3 Pfennige, eine Flasche Bier 15 Pfennige – in unserer Gegend erhielt ein Lehrer damals 280 Mark Jahresgehalt (!)
Im Buch des ehemaligen Gemeindevorstehers von Neuschönefeld, Moritz Weißbach: Geschichte der Gemeinde Neuschönefeld aus dem Jahr 1890 wird beschrieben, dass Herr J. G. Glitzner als kleiner Unternehmer im Jahr 1879 in Neuschönefeld auf dem Grundstück mit der Flurbuchnummer 77 eine Dampfmahlmühle übernommen hatte, die er bald darauf in ein Dampfsägewerk mit Holzraspelei, Farbenmühle mit einer Fabrikation von Küchengerätschaften umgewandelt hatte.
Im Jahr 1887 beschäftigte er sich mit einer Idee eines großen Hallenschwimmbades auf seinem Grundstück, nach den seinerzeit modernsten Gesichtspunkten. Im Protokoll der Neustädter Gemeinderatssitzung vom 1. April 1887 kann man darüber folgendes lesen:
,,… bei Vortrag des Wohlfahrtsausschusses wird das neuere Anbringen des Herrn Glitzner in Neuschönefeld wegen Gestattung des Wasserabführens aus seiner projektierten Badeanstalt event. aus seinen sämtlichen Grundstücken in die diesseitige Wölbschleuse, nach dem Vorschläge des Ausschusses, nur die Wässer aus der Badeanstalt aufzunehmen und hierfür jährlich 1000 Badefreibillets für unbemittelte Schulkinder zu fordern, zugestimmt.”
Das Bad wurde am 10. Oktober 1887 als eines der größten in Deutschland eröffnet und nach dem Vornamen der Ehefrau des Sägewerksbesitzers Herr Glitzner ,,Marienbad“ genannt. In der ,,Leipziger Vorstadt-Zeitung” vom 12. Oktober 1887 steht darüber folgendes:
,,Das Marienbad in Neuschönefeld…. Sein Bassin ist 22,5 Meter lang und 11 Meter breit, mithin noch einmal so groß wie das Bassin des Sophienbades und eineinhalbmal größer als das des Dianabades. Sein Wasserstand beträgt an der flachsten Stelle 0,75 Meter, an der tiefsten etwas über 3 Meter. Es enthält normal 550 Kubikmeter Wasser…
Die Wellen-Vorrichtung, von Bachmann & Reiter in Reudnitz gefertigt, wirkt stärker als die uns bekannten und befriedigt in hohem Grade…
Die Beleuchtung geschieht durch zwei große Bogenlichter, in den Zellen und Korridoren werden Glühlichter verwendet.“
Moritz Weißbach schreibt darüber:
,,… das von Herrn Glitzner im Jahre 1887 eröffnete ,,Marienbad“, welches von der Rührigkeit und dem Unternehmungsgeist des Gründers beredtes Zeugnis ablegt, für die Ostvororte aber eine nicht zu unterschätzende Wohltat ist. Diese Badeanstalt wurde von den Architekten Polster und Höhne gebaut und besteht in einem geräumigen Schwimmbassin und großem Doucheraum mit Waschzimmer; für Wannenbäder ist in großer Anzahl gesorgt und entsprechen diese allen Anforderungen der Neuzeit. Die gestellten niedrigen Preise gestatten die Benutzung Jedermann und diesem Umstande und den bequemen Einrichtungen mag es in der Hauptsache zuzuschreiben sein, daß der Besuch bisher alle Erwartungen übertroffen hat. Der Begründer kann mit Stolz auf seine glückliche Idee zurückblicken. Das Wasser – natürliches Brunnenwasser – ist ein schönes und klares, ja man nimmt auch auf Grund eingeholter Gutachten an, daß es heilkräftig sei …
Die Einrichtungen der Anstalt sind so comfortabel, daß sich jeder Stand und jedes Geschlecht darin wohlbefindet.“
Im Jahr 1929 wurden, laut statistischem Jahrbuch, insgesamt 311.726 Bäder verzeichnet, davon 187.202 Schwimmbäder. Das Bad wurde in den 20er Jahren von der Stadt übernommen und heißt seitdem ,,Ostbad„.
Das besondere an dem Gebäude des Ostbades ist, dass es in den Obergeschossen auch Mietwohnungen gibt. Ein Bekannter von mir wohnte bis in ie 90er Jahrenoch am Westgiebel in einer feuchten Dachgeschoss-Wohnung (sowohl von der Giebelwand als auch vom Dach her wurde die Wohnung regelmäßig ,,befeuchtet“. Auch der Bad-Bereich befand sich im Jahr 1992 in einem äußerst sanierungsbedürftigen Zustand. Trotz Denkmalsschutz ist zweifelhaft, ob das Ostbad überhaupt bestehen bleibt. Das würde aber nicht nur die Bevölkerung des Leipziger Ostens mit einer unterdurchschnittlich geringen Ausstattung der Wohnungen mit Bad/Dusche treffen, sondern auch die Stadt Leipzig, die damit eines ihrer typischen Kleinode aufgeben würde.
Besuchen Sie das Ostbad – solange es noch steht…!
Dr. H. Stein,
Juli 1992 [mit Textergänzungen und Einfügungen Januar 2015]
Nachtrag: Das Ostbad wurde im Oktober des Jahres 2000 abgerissen.
Mit dem Ostbad wurde ein einzigartiges historisches Bauwerk plattgemacht. Ich war als Kind mehrfach mit meinem Vater drin.
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Danke für die Geschichte des Ostbades! Ich war als Kind oft dort, habe hier Ende der 60er Jahre bei einer älteren Schwimmlehrerin schwimmen gelernt. Leider erinnere ich mich nicht an ihren Namen. Als wir dann von der Schule aus auch dort Schwimmen gingen (16. POS), konnte ich es bereits, und im Zeugnisheft stand „Schwimmen: 1“. Das machte sich besonders gut neben „Turnen: 4“.
Lieber Grüße
Hans
Ehemals Herm.-Liebmann-Str. 92
(gegenüber „Papser“/„Achtern Strom“)
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Hallo Hans, da bist Du nicht der einzige Schwärmer und deshalb habe ich auch schon einen etwas ausführlicheren Beitrag zum Ostbad in Planung, bis demnächst …
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