Apriltage in Berlin vor 70 Jahren

SoTK_02Seit dem 9. August 1943 war mein Vater, Werner Stein, als Ingenieur zur Firma Telefunken nach Berlin-Zehlendorf kriegsdienst-verpflichtet worden (,,zur Dienstleistung beurlaubt“ steht in seinem Arbeitsbuch). Er wurde dort bis zum Kriegsende als Konstruktions-Ingenieur beschäftigt.

Hier folgend ein Auszug aus seinem Soennecken-Taschenkalender, mit seinen Berliner Erlebnisse aus der 17. Kalenderwoche des Jahres 1945.

SoTK_0123. April, Montag

1450 auf dem Weg zur Orts-
kommandantur bis Haus des Frem-
denverkehrs, dort auf Wache von
Obwtm. [?] nach Haus geschickt, da der
Aufruf und Arbeitserl. [nicht beträfe?]

Anmerkungen: Obtwm. – Oberwachtmann (?)
die U-Bahn-Linien CDE stellen in Berlin den Verkehr ein

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24. April, Dienstag
1100 Versucht nach Zehlendorf zu kommen.
Am Händelplatz wegen Arifeuer umgekehrt.
ab Mittag Arifeuer auf Bambergerstr.
Luftangr. der Russen
1900 Kollegen getroffen, der am Mi. zur Kommandantur
will und mir Bescheid gibt. – Kollege kam nicht!

Anmerkungen: Zehlendorf wurde am 24. April von den Russen besetzt (1.Ukrainische Front).
An diesem Tag hat mein Vater die Kündigung von Telefunken erhalten. In seinem Arbeitszeugnis stand dann, dass er ,,unter den augenblicklichen Verhältnissen …“ nicht weiter beschäftigt werden konnte.

Werner.Stein_Z.Telefunken_30.04.1945s————————————————————————————–

25. April, Mittwoch
Von Wehrmachtwache Haus des
Fremdenverkehrs als Arbeitsurlauber
nach Hause geschickt
2100 schw. Aritreffer in 4. Etage
Fahrstuhl Bambergerstr.

Anmerkungen: die letzten zwei U-Bahn-Züge verkehren bis 18 Uhrauf der Linie A, dann wird der Verkehr eingestellt, auch der S-Bahn-Verkehr wird eingestellt
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26. April, Donnerstag

Anmerkung: Briefkästen letztmalig geleert und Briefe zugestellt.

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27. April, Donnerstag Vollmond
12 Uhr nach Westen abgehauen!

Anmerkungen: An diesem Tag ist Stromversorgung in Berlin zusammengebrochen.
Mein Vater hat mir mal erzählt, dass er kurz vor Kriegsende mit einem nicht regulären S-Bahn-Zug durch einen „Flaschenhals“ durch unbesetztes Niemandsland im Berliner Stadtgebiet von Mitte nach Richtung Westen (vermutlich zum Westkreuz/ Witzleben) im Wagen flachliegend mitgefahren ist. Das könnte diese Flucht nach Westen (Richtung Charlottenburg) gewesen sein.
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Kartenskizze vom Kriegsende in Berlin
Werner_Stein-22m

Legende: Aufenthaltsorte meines Vaters in Berlin im Frühjahr 1945
1     Bambergerstraße 57, Wohnung als Untermieter bei Fr. Kloos (1943 bis 45)
2     Zehlendorf, Telefunken-Werk (Bunker, Arbeitsplatz bis 15. Februar 1945)
3     Waidmannslust, Telefunken (Entwicklungsbüro, Arbeitsplatz ab 16. Februar)
4     Haus des Fremdenverkehrs, Kommandantur
und nach einer Granatsplitter-Verletzung
5     Bredtschneiderstraße 13, Privatlazarett, 1. – 3. Mai
6     Thüringer Allee 12, St. Hildegard-Krankenhaus, ab 3. Mai

Ein Gedanke zu “Apriltage in Berlin vor 70 Jahren

  1. Na, das nenn‘ ich ja mal einen ehrlichen „Entlassungsgrund“ der Firma TELEFUNKEN. So was ist heutzutage ja gar nicht mehr vorstellbar, da würde mit (erfundenen)Phrasen und umständlichen Begründungen um sich geworfen werden, nur um einen (möglichen)Gerichtsprozess zu vermeiden!!!

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