dreÿ Mohren (1)

Das Bild rechts erinnert Euch vielleicht an den Gaststätten-Beitrag über Anger vom Dezember 2021.
Kürzlich habe ich einen alten Briefkopf des Konzert- und Ball-Etablissement Drei Mohren in Anger-Crottendorf aus dem Jahr 1922 entdeckt. Darauf steht:

Ältestes und vornehmstes Lokal am Orte
.

Was ist da dran – ist das nur ein Werbe-Gag?
Wie weit die Wurzeln dieser Gastwirtschaft zurückreichen, wie sie zu ihrem Namen gekommen sein könnte und wovon alte Zeitungen über sie und das nahe Umfeld berichteten – darum soll es im Folgenden gehen …

Zu Beginn ein paar …

Vorbemerkungen

zur Rechtschreibung, zu aktuellen Veröffentlichungen und zu eigenen Vermutungen.

1. zur Rechtschreibung: das Zahlwort für die Ziffer 3 wurde teilweise bis in die 1830er Jahre als Dreӱ mit Ypsilon und (den zwei sogenannten) Trema-Punkten geschrieben. Ursprünglich kam das durch eine Zusammenziehung der Buchstaben ,,i“ und ,,j“ der alten Schreibweise ,,dreij“ zustande. Deshalb habe ich hier im Text auch diese Schreibweise aus den alten Akten und Zeitungen teilweise übernommen.

2. zu Veröffentlichungen: Zu den alten Gastwirtschaften im früheren Dorf Anger gibt es heute kaum noch Hinweise und nur wenige Veröffentlichungen. Bei Wikipedia gibt es nur knappe Beiträge zur Grünen Schänke (mit ,,ä“ geschrieben), Ersterwähnung im Jahr 1699, und zum Kleinen Kuchengarten, eröffnet im Jahr 1828. Im Leipziger Gastwirtschafts-Standardwerk von Schimpfermann [Quelle #1] gibt es zusätzlich eine Erwähnung zum Täubchen, aber keine Hinweise zu den Drei Mohren.

3. zu Vermutungen: Welche von den Vieren ist nun die älteste Gastwirtschaft? Die älteste Angabe stammt bisher von der Grünen Schenke, da haben wir ja die Jahreszahl 1699. Ein weiterer Kandidat wären die Drei Mohren – da habe ich aber noch nichts gefunden …

Gute Frage: woher könnte ich dazu Informationen bekommen?

Wurzel-Geschichten aus alten Akten,
Kontraktenbüchern
und Ortsverzeichnissen

Deshalb habe ich per Mail ein Hilfersuchen an das Stadtarchiv Leipzig geschickt und von dort auch Recherche-Hinweise erhalten. [Quelle #2]

Daraus konnte ich folgendes ableiten:

Im Jahr 1831 kam es zu behördlichen Erörterungen, ob das Grundstück zu den drei Mohren als Gastwirtschaft überhaupt eine Schankkonzession besaß. Das wurde von den Gasthofsbesitzern zu Anger, Sommerfeld und Probstheida angezweifelt. [Quelle #3]

In einer Akte der Landstube des Ratslandgerichts sind dehalb in einem Extract aus den Gerichtshandelsbüchern Abschriften enthalten zu
„Besitzern des zu Anger unter No. 14. gelegenen zu den dreӱ Mohren genannten Kohlgärtnergutes bis zu dem Zeitpuncte zurück betreffend, wo sich zuerst Nachricht von der darauf betriebenen Schanknahrung vorfindet“.
Diese hier von mir daraus tabellarisch zusammengestellte Aufstellung aus diesen Akten reicht bis in die 1688er Jahre zurück und enthält Angaben über 11 Vorbesitzer dieser Gastwirtschaft. [Quelle #3]

Die ältesten in der Akte genannten Besitzer (und Schankwirte) sind:

Zwischenergebnis 1: Damit dürfte belegt sein, dass die Gastwirtschaft ,,Drei Mohren“ mit der Ersterwähnung im Jahr 1688, gegenüber der Grünen Schenke mit der Ersterwähnung im Jahr 1699, zumindest die älteste ersterwähnte vom Dorf Anger war.

In einer alten Akte mit dem Titel ,,Nachricht vom Dorf Anger“ aus dem Jahr 1684 habe ich noch einen früher datierten Nachweis für das Gut entdeckt. Dort wird in einer Aufstellung des Erbregisters der Name Anton Schneider (oben unter Nr. 11) in einer Besteuerungsliste seines Guts ebenfalls geführt und über das Dorf Anger kann man dort folgendes lesen:
,,Erb-Register über das Dorff, oder den Kohlgarten, Anger, worinnen 11. Höfe, ein Hirtenhauß, |:so auch denen Gemeinden zu Reudnitz und Crottendorff mit gehöret:| ingleichen ein Platz zum Gemeindehauße.
Aufgezeichnet Anno 1864.
“ [Quelle #4 mit Original-Rechtschreibung Anno 1684!]
Daraus habe ich drei wichtige Details entnommen:
1. Anton Schneider besaß ein Bauerngut mit 26 1/4 Acker Feld und 2 Grünstücken,
2. das zum Teil auch in Reudnitz und Crottendorf lag und das war
3. eines der elf Bauerngüter vom Dorf Anger.

Die Anzahl der Bauerngüter ist deshalb bemerkenswert, weil im historischen Ortsverzeichnis von Sachsen für das Jahr 1552 auch 11 besessene Mann, also 11 Höfe bzw. Bauerngüter, für Anger angegeben werden.

Diese Höfe, auch das der späteren Drei Mohren, werden bereits in einer Aufzählung des ländlichen Besitzes des Leipziger Rates aus dem Jahr 1543 nach der Auflösung des Georgenklosters (Jungfrauenkloster) östlich von Leipzig angegeben. Dort heißt es:
,,Weiter fielen [im Jahr 1543] an den Rat:
1. vom Thomaskloster die Dörfer Sommerfeld, Probsthaida, Connewitz, Baalsdorf, Mölkau, Cleuden u.a.
2. vom Georgenkloster die Dörfer
Anger mit 11 Nachbarn,
Hirschfeld mit 16 Nachbarn und
Großschkorlopp mit 10 von 21 Nachbarn.
“ [Quellen #5 und #6]
Unter dem Begriff Nachbar wurde damals benachbarte Bauernhöfe verstanden.

Möglicherweise reicht die Geschichte dieser Höfe noch weiter bis zur Ansiedlung des Nonnenklosters zu St. Georg im Osten von Leipzig bis ins 13. Jahrhundert zurück. [Quelle #7] Und ich gehe davon aus, dass die Vorgänger-Höfe der Grünen Schenke und der Drei Mohren schon vor über 700 Jahren existiert haben könnten …

Aber, nach diesem Ausflug zu den Wurzeln der Bauerngüter von Anger, jetzt weiter in der Reihenfolge der Schankwirte auf der No. 14, dem späteren Gut der Drei Mohren.

Innerhalb von 24 Jahren wechselte das Gut fünf mal den Eigentümer und kam im Jahr 1732 in den Besitz von Caspar Egler. Dort verblieb es in den folgenden 65 Jahren – kann das sein? Ja, weil er jeweils erstgeborene Sohn auch den Vornamen Caspar erhielt, vermute ich, dass mindestens zwei Generationen Eglers Eigentümer dieses Gute waren, aber rein juristische nur ein Caspar Egler in den Gerichtshandelsbüchern der Landstube geführt wurde.
Erst im Jahr 1797 wurde das Gut zuerst an seine Erben (seine Frau, drei Töchter und einen Sohn) und anschließend von den Kindern, unter Verzicht ihres Erbanteils, an ihre Mutter, die Witwe Anna Magdalena Egler, vergeben. Zwölf Jahre später wurde das Gut an Caspar Eigner und im Jahr 1830 an Johanne Christiane Priccius verkauft, auf die ich im nächsten Abschnitt nochmals zurückkomme.

Anmerkungen zu den Aktenvermerken: die Nachweise befinden sich in den Gerichtshandelsbüchern des Ratslandgerichts, des Kontraktenbüchern (LStCB), die ich hier angegeben habe und die im Stadtarchiv Leipzig einsehbar sind.

An dieser Stelle muss ich noch anmerken, dass der Gutbesitzer bzw. die Gutsbesitzerin in den seltensten Fällen auch als Gastwirt in der Gastwirtschaft des Gutes tätig war. Die Gastwirtschaft wurde in der Regel verpachtet. Das können wir uns später in der kleinen Presseschau noch ansehen.

Namens-Geschichten
zu einem ,,Großen Kohlgarten“
und ,,zu den Dreӱ Mohren“

Wann, warum und von wem die Gastwirtschafts-Bezeichnung ,,zu den 3 Mohren“ eingeführt wurde, ist aus den vorgenannten Auszügen der Gerichtshandelsbücher nicht zu entnehmen. Deshalb habe ich an dieser Stelle in alte Gerichtsakten der Landstube zum Dorf Anger und verfügbare Leipziger Ausflugsführer aus dem 18. und 19. Jahrhundert geschaut.

So ist zum Beispiel in einer Akte über den ,,Bierschank aufn Anger in Kohlgarten“ aus dem Jahr 1712 folgendes zu lesen:

,,E. E. Hochwd. Rathes gegen Verordnung zu gehorsambster folge ist von Hier aus wegen Johann Andreas Schosens jetzigen Nahrung in seiner Schencke in den großen Kohlgarten Erkundigung eingezogen, und nach dehm zu Zweӱen mahlen in der Woche, und einen mahle des Sontages …“

und in einer anderen Akte steht in einem Schreiben von Andreas Schoß:

,,… das auß meiner in den großen Kohlgarten gelegenen Schenke…“ [Quelle #8 in Original-Schreibweise aus dem Jahr 1712].

Daraus wird ersichtlich, dass das spätere Drei Mohren-Gut früher als ein großer Kohlgarten bezeichnet wurde, vielleicht auch: der Große Kohlgarten

Wie kam der Gasthof zu seinem Namen ,,zu den dreÿ Mohren„?
Dazu habe ich zwei historische Quellen mit folgendem Text gefunden:

1. Otto Moser über das Dorf Anger aus dem Jahr 1864
Die drei Mohren in demjenigen Theile des Orts, welcher früher das Semmeldörfchen genannt wurde, erhielten ihren Namen um 1780 von drei hübschen Wirtstöchtern, die stets schwarze Hauben trugen, und von welchen eine, die spätere bekannte Burgkellerwithin Frau Stade war. [Quelle #9]

2. Emil Kneschke über die Kohlgärten im Jahr 1870
In den Kohlgärten waren damals ,,die drei Mohren“ sehr besucht.
Die vorherige Wirthin … hatte drei Töchter, welche schwarze Sammtmützen trugen; es waren zu ihrer Zeit hübsche Mädchen, diese lockten Jung und Alt heraus, es wurde mit ihnen viel Geld verthan und sie bekamen den Namen: die drei Mohren. Die jetzige Wirthin ist eine von den Dreien.
Ebenso war ,,eine von den Dreien“ auch die spätere Rathskellerwirthin Frau Stade in Leipzig, nachmals Schwiegermutter des Freischuldirektors Plato.
[Quelle #10]

Läßt sich diese Geschichte mit den drei Töchtern belegen?
Dazu schaun wir oben nochmals in die Liste der früheren Schankwirthe aus dem Jahr 1830 unter Punkt 5. Caspar Egler, der das Gut im Jahr 1732 gekauft hatte, hatte offenbar einen Sohn gleichen Namens, der das Gut Mitte der 1750er Jahre übenommen hatte.
Dieser Sohn hatte mit seiner Frau Anna Magdalena Egler, geb. Winkler, vier Kinder:
# Anna Magdalena (später verheiratete Olbrecht),
# Christine Dorothea (später verheiratete Goldschad),
# Johanna Maria (später verheiratete Priccius)
# und einen Sohn, der traditionell auch Caspar hieß. Diese drei Töchter waren im Zeiraum zwischen 1770 und 1780 junge Frauen und könnten daher gut mit dunklen Hauben/Mützen die genannten drei Mohren gewesen sein.
Außerdem taucht hier bei der dritten Tochter der spätere Namen Priccius auf, siehe Liste der Schankwirthe Punkt 1. Das läßt, bei dem relativ seltenem Namen, mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, dass die genannte Johanne Christiane eine Nachfahrin der Johanna Maria von den drei Töchtern des Caspar Egler war.

Zwischenergebnis 2: Die Gastwirtschaft ,,Dreÿ Mohren“ hat ihren Namen durch die drei Töchter des Schankwirts Caspar Egler Mitte der 1770er Jahre erhalten. Das hat primär nichts mit dunkelhäutigen Bewohnern Afrikas zu tun.

Ab Anfang des 19. Jahrhunderts haben sich in Deutschland und speziell auch in der Buchdrucker- und Verlagsstadt Leipzig die Tageszeitungen zunehmend verbreitet. Das führte dazu, dass unter den Bekanntmachungen und Anzeigen Gastwirtschaften des Leipziger Umlandes auf sich und ansprechende Bewirthungen aufmerksam machten.
Deshalb jetzt eine kleine Zeitungsschau zu den drei Mohren und was ich darüber so finden konnte …

Zeitungs-Geschichten
über Gastwirthe,
Veranstaltungen und Ereignisse

Im Januar 1818 hatte Gottfried Pallmann die Schenkwirthschaft in den Dreӱ Mohren vom vorhergehenden Pachtwirt Manecke übernommen:

Im Juli des Jahres 1823 übernahm Johann Georg Pötsch als Pachtwirt die jetzt mit ,,i“ geschriebenen Drei Mohren mit einem Einzugsschmaus (auch mal kurz als 3 Mohren mit Zahl geschrieben):

Auch die Gutsversteigerung im Jahr 1830 wurde in der Zeitung annonciert. Die hier genannte Johanna Caroline Richter war eine Tochter der oben genannten Johanne Christiane Priccius.

Das Gut ging infolge der Versteigerung an die Pächter Capar Eichler aus Leipzig, Johann Gottlieb Edlich aus Crottendorf (original in der Akte steht ,,Krotendorf“ ) und Johann George Petzsch (~auch aus Leipzig?).

Die Lageskizze aus den 1830er Jahren zeigt den nördlichen Teil des früheren Dorfs Anger mit den meisten Häusern/ Gütern an der zentralen Hauptstraße und ebenfalls der zentralen Lage der Gebäude der Gastwirtschaft ,,zu den drei Mohren“ .
Die Chaussee-Straße tangiert das Dorf, von oben kommend aus Wurzen/ Eilenburg nach links abzweigend über Reudnitz nach Leipzig.

Das soll es hier im ersten Teil der Mohren-Geschichte gewesen sein.

Hier im Bild sieht man so etwa, wie es mit der Geschichte – genauer gesagt einer weltliterarischen Geschichte weitergeht, die an einen Artikel in der Züricher Freitagszeitung vom 3. September 1847 anknüpfte …


Literatur- und Quellenverzeichnis

Literatur

Wikipedia-Einträge zur Grünen Schänke und zum Kleinen Kuchengarten

Tageszeitungen

eigene Blog-Beiträge

eigene Skizzen, Fotos, private Kopie Filmplakat

Quellen

Quelle #1: Hartmut-Hennig Schimpfermann: Wirtliches an der Pleiße, Verlag Die Quetsche, Hanau 1991 – kein Eintrag gefunden

Quelle #2: Stadtarchiv Leipzig, Auskunft zur Schankwirtschaft Drei Mohren (per Mail vom 02.02.2021) von Olaf Hillert, Bestandsreferent

Quelle #3: Stadtarchiv Leipzig, Landstube, Ratslandgericht Nr. 9371 ,,Die von den Gasthofsbesitzern zu Anger, Sommerfeld und Probstheida wegen des Schankhauses ,,Zu den dreÿ Mohren“ in Anger geführte Beschwerde“ 1831 und daraus abgeleitete tabellarischen Übersicht.

Quelle #4: Stadtarchiv Leipzig, Landstube, Reichslandgericht, Nr. 9510 ,,Nachricht vom Dorf Anger“ 1684

Quelle #5: Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen, Anger, online hier

Quelle #6: Werner Emmerich: Der ländliche Besitz des Leipziger Rates, H. Haessel-Verlag, Leipzig 1936, Anger auf Seite 25, online hier

Quelle #7: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, Urkundenbuch der Stadt Leipzig, Band 3, S. 127 Übersicht der Erbzinse und Güter sowie der Ausgaben des Nonnenklosters (zwischen 1471 und 1481 Oct. 28.), online hier

Quelle #8: Stadtarchiv Leipzig, Landstube, Reichslandgericht, Nr. 9373 Anger No. 19 ,,Acta den Bier-Schank im Kohlgarten zu Anger und insbesonderheit die von Andreas Schoßes betr., Anno 1712″

Quelle #9: Otto Moser: Umgebung Leipzig’s in geschichtlichen Abriß der nächstliegenden Sechsundfünfzig Dörfer, Leipzig, 1864 M. G. Priber, Seite 84 über das Dorf Anger

Quelle #10: Dr. Emil Kneschke: Leipzig seit 100 Jahren. Säcularchronki einer werdenden Großstadt Leipzig, Johann Frierich Hartknoch, 1870, Seiten 407/408 über das Dorf Anger

Quelle #11: Stadtarchiv Leipzig, Landstube, Reichslandgericht, Nr. 5910 ,,Acta die freiwillige Subhastation des zu Anger unter No. 14 gelegenen Guthes der sogenannten Dreÿ Mohren betr., 1830

persönliche Mitteilungen

Frank Heinrich und Fritz Halm unterstützten mich beim Lesen und Verstehen alter Kanzleischriftsätze – vielen Dank!

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