Pfingst-Aufstiege 1880

Für die Pfingsttage des Jahres 1880 hatte sich der Gastwirt der Drei Mohren im Leipziger Osten eine besondere luftige Attraktion ausgedacht: den ersten Ballonaufstieg

der berühmtesten Luftschifferin der Gegenwart Auguste Securius
– im Volksmund kurz ,,die kühne Auguste“ genannt.

Es fanden schließlich drei Ballonfahrten statt.
Was es damit auf sich hatte, wie das damals bewerkstelligt wurde und wohin die Reisen gingen, dazu mehr in dem folgenden kleinen Beitrag …

Der Leipziger Osten im Jahr 1880

In den 1870er Jahren hatte die Bevölkerung Leipzigs und seiner Vororte stark zugenommen. Wie der folgenden Tabelle zu entnehmen ist, wuchs die Bevölkerung Leipzigs von 1871 bis 1880 um 52 % auf etwa 150.000, die der Ostorte (orange hinterlegt) sogar um 72 % auf fast 50.000 Einwohner.
Zu den Ost-Vororten zählten unter anderen Anger, Crottendorf, Neuschönefeld, Neustadt, Reudnitz, Sellerhausen und Volkmarsdorf.

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links: Bevölkerungsstatistik [Quelle #1] / rechts: Skizze Anger (1879) mit Gaststätten

Dabei nahm der obere Teil des Dorfes Anger mit seinen drei beliebten Gaststätten, der Drei Mohren, der Grüne Schenke und dem Kleinen Kuchengarten eine für alle ,,Ost-Einwohner“ gut erreichbare zentrale Stelle ein, siehe Skizze oben rechts.

Deshalb war es auch nicht überraschend, dass der Wirt der Drei Mohren für Pfingsten 1880 im Leipziger Tageblatt eine besondere Attraktion in seiner Gastwirtschaft ankündigte:

,,Haben wir in der letzten Zeit wiederholt fast nur mißlungene Luftschifffahrten in Augenschein nehmen können, so dürfte wohl mit Gewißheit anzunehmen sein, daß die Luftschifferin Frau Auguste Securius, welche Herr Gastwirth Seifert für sein Etablissement ,,Die 3 Mohren“ in Anger zu den beiden Pfingstfeiertagen engagiert hat, uns endlich einmal wieder ein durchaus befriedigendes Schauspiel der Aeronautik bieten wird.“

Er wies in dem Artikel darauf hin, dass die aus Hanf- und Seidenstoff bestehenden Securius-Ballons
,,… sämmtlich von Frau Securius selbst, nur mit Beihülfe der Nähmaschine, genäht worden sind.“
Der hier in Anger zum Einsatz kommende Ballon mit dem Namen ,,Neptun“ wird mit einer Höhe von 40 Fuß [etwas über 12 Meter] und einem Füllungsraum von 359 Quadratmeter [Schreibfehler? – Kubikmeter] angegeben.

Pfingst-Sonntag, 17. Mai 1880

Anzeige Leipziger Tageblatt, 16.05.1880

Dann war es endlich so weit und im Leipziger Tageblatt konnte man nach der Werbe-Anzeige für die ,,berühmteste Luftschifferin der Gegenwart“ (Bild links) speziell zur Ballon-Füllung am Pfingst-Sonntag des Jahres 1880 folgendes in einem Artikel lesen:

,,Die Füllung des Ballons der Frau Securius hatte am Nachmittag 1 Uhr an im Garten der ,,Drei Mohren“ zu Reudnitz-Anger begonnen und die Vorkehrungen dazu waren so praktisch getroffen, daß nach einigen Stunden bereits die Ballonhülle ihre regelgerechte Gestalt angenommen hatte. … Bis 6 Uhr hatte sich der Aufsteigungsraum ziemlich mit Schaulustigen gefüllt, und es sind, wie wir vernehmen, etwa 600 Personen in demselben gewesen, die Eintrittsgeld bezahlt haben.“

Über 6 Stunden Füllzeit – warum hat das so lange gedauert, werdet Ihr fragen?
Gasballons wurden damals meist mit Leuchtgas gefüllt. Leuchtgas als Gemisch von Wasserstoff, Methan und Kohlenmonoxid bewirkte zwar einen geringeren Ballon-Auftrieb, war aber dafür kostengünstiger als eine reine Wasserstofffüllung und auch einfacher zu beschaffen. [Quelle #2]

Als Füll-Gas für den Ballon ,,Neptun“ wurde in der Gastwirtschaft Drei Mohren das Leuchtgas aus der Gasleitung vom Gaswerk in Sellerhausen genutzt. Ja, richtig – dort wo heute an der Eisenbahnstraße die IG Fortuna einen Zukunftsort im Leipziger Osten einrichten möchte [Quelle #3]
Dort gab es damals eine Gasanstalt für die östlichen Vororte Leipzigs, deren Eigentümer seit 1872 die Thüringer Gas-Gesellschaft zu Leipzig war. [Quelle #4] Die Röhrenleitung des Gasnetzes im Gebiet Reudnitz-Sellerhausen hatte im Betriebsjahr 1880 eine Länge von 18.071 Metern. [Quelle #5]

Nach all den Vorbereitungen ging es dann schließlich wenige Minuten nach 1/2 7 Uhr los. Das Leipziger Tageblatt schrieb über den Ballon-Aufstieg:

Restauration ,,Drei Mohren“ 1887 [Quelle #6]

,,… die zum Festhalten desselben dienenden Soldaten traten enger und enger im Kreis zusammen und Frau Securius … ertheilte gemessen und umsichtig ihre Befehle und so vollzog sich denn auch, nachdem das Commando ,,Los“ gegeben, die Aufsteigung in prächtiger Weise; die Äste eines Baumes wurden leise von der Gondel gestreift, dann aber erhob sich der Ballon unter vieltausendfachen Jubelrufen der zuschauenden majestätisch gleich einem Aar in den Aether empor.“
Die 1. Ballonfahrt führte über etwa 17 km in Richtung Süden:
,,Die Fahrt ist, wie uns die Luftschifferin selbst mittheilt, auf das Glücklichste verlaufen. Sie ist in der Richtung der über Wachau und Magdeborn nach Borna führenden Chaussee gesegelt und nachdem sie eine Lufthöhe von über 2.000 Meter erreicht hatte, nach 3/4 stündiger Fahrt auf einem Acker zwischen den Dörfern Espenhain und Mölbis gelandet. Zuerst ist der Ballon etwas geschleift worden, dann aber konnte er durch die herbeieilenden Landleute in Sicherheit gebracht werden.
Frau Securius war mittels Leiterwagen bereits 11 Uhr Abends in die ,,Drei Mohren“ zurück gelangt.“

Pfingst-Montag, 18. Mai 1880

Am folgenden Nachmittag fand ein zweiter Aufstieg statt, über den ebenfalls im Leipziger Tageblatt berichtet wurde:
,,Auch die zweite Auffahrt der Frau Securius mit ihrem Luftschiff ,,Neptun“ ging am zweiten Pfingstfeiertag recht glücklich von Statten und Tausende Menschen hatten sich zu diesem Schauspiele eingefunden. Ja Tausende Menschen standen auf den Straßen von Anger, Reudnitz etc. oder hatten daselbst in den verschiedenen Gartenrestaurants Platz genommen, um den Luftballon steigen zu sehen, und ein tausendstimmiges Hurrah ertönte, als gegen 3/4 7 Uhr Abends sich der Ballon aus dem Garten der ,,Drei Mohren“ erhob.“
Die 2. Ballonfahrt führte ebenfalls in Richtung Süden, diesmal über etwa 8 km:
,,Der Ballon stieg prächtig, erreichte eine Höhe von 2500 Meter, wobei er einmal in die Wolken gerieth, daß er eine kleine Weile gar nicht mehr zu sehen war. Er fiel Abends 10 Minuten vor 8 Uhr etwa 600 Schritte hinter Gautzsch auf einem frisch gepflügten Acker nieder.“
Anmerkung: Gautzsch – heute Markkleeberg-West

Ein weiterer Ballon-Aufstieg erfolgte schließlich am …

Sonntag nach Pfingsten, 24. Mai 1880

Anzeige Leipziger Tageblatt, 22.05.1880

Trotz mehrerer an diesem Tag in der Stadt Leipzig statt findenden Veranstaltungen und etwas unsicherem Wetter hatte dieser dritte Ballon-Aufstieg von Frau Securius laut einem Artikel im Leipziger Tageblatt wieder ,,Tausende von Menschen herbeigelockt“ , davon hatten etwa 600 Billets für den Füllungsplatz im Garten der ,,Drei Mohren“ für je 50 Pfennige erworben. Über den Ballon-Aufstieg war in der Zeitung folgendes zu lesen:

Zeitschrift ,,Schalk“ [Quelle #7]

,,Die Auffahrt ging wieder äußerst präcis von Statten. Die Luft war still, der Himmel bewölkt, und als der Ballon aufstieg, fiel ein leichter Regen. Die schöne Luftschifferin streute diesmal bei der Auffahrt Blumen und Photographien unter das Publicum. Als Ballast führte sie keine Sandsäcke mit sich, sondern einen kleinen Ballen Papier, bestehend aus kleinen Prospecten des humoristischen Journals Schalk“ – siehe Bild rechts.

Die 3. Ballonfahrt führte etwa 25 km in östliche Richtung. Frau Securius schilderte diese dem Tageblatt wie folgt:
,,Je höher der Ballon stieg, desto stärker begann es zu regnen, und zwar so stark, daß das Regenwasser an der Wandung des Ballons herunter floß und sich in die Gondel ergoß.“
,,Die Luftschifferin hüllte sich in einen Mantel, zudem fand sie es in den oberen Luftschichten empfindlich kalt, viel kälter als bei ihren letzten Fahrten. Der Ballon stieg bis 2100 Meter.
Zu ihrem Schrecken gewahrte Frau Securius, daß der ,,Neptun“ beim Fallen nach einem stark bewaldeten Terrain trieb. Es war dies Altenhain (bei Trebsen), welches Dorf von einem Waldesgürtel umgeben liegt.“

Schließlich durchstrich der Anker ein Kornfeld und haftete dann auf einem Feldwege; der Ballon kam in einem blühenden Rapsfeld zur Erde.
,,Die ganze Dorfschaft eilte natürlich herbei, so daß nach nur zweimaligem Aufschlagen der Gondel der Ballon festgehalten und die junge Luftschifferin aufs Land gebracht werden konnte. Die braven Altenhainer brachten Frau Securius Blumen und Sträußchen, wünschten sich aber auch alle eine Photographie von der Luftschifferin; ihre Wünsche wurden auch erfüllt, so weit der kleine Vorrat noch reichte. So enthusiamirt sich nun die Altenhainer zeigten, wollte aber doch Niemand ein Fuhrwerk stellen können. Als dies aber der Rittergutsbesitzer des Ortes, Herr Kabitzsch, vernahm, ließ er sofort zwei Pferde anspannen, um Frau Securius mit ihrem Ballon nach Reudnitz fahren zu lassen. Als der Wagen durch das Dorf Polenz kam, hatten sich auch hier die Bewohner versammelt und brachten unter Hochrufen der kühnen Luftschifferin Blumen und Sträußchen dar, dabei die herzlichsten Glückwünsche aussprechend.“

Fazit – Mai 1880

Das waren ereignisreiche Maitage für den Leipziger Osten im Jahr 1880, an die man sich sicher noch lange Zeit zurückerinnert hat.
Und an deren Erinnerung ich heute wieder angeknüpft habe.


Literatur- und Quellenverzeichnis

Literatur

Leipziger Tageblatt und Anzeiger vom 15. bis 25. Mai 1880

eigener Blog-Beitrag: alte Gaststätten in Anger, vom Dezember 2021

eigene Flur-Skizze vom Dorf Anger und eigenes Foto im Vorspann

Quellen

Quelle #1: Ernst Hasse: Beiträge zur Bevölkerungs- und Wohnungsstatistik von Leipzig, Dunker & Humblot, Leipzig, 1891, Seiten 8/9: Wachstum der Alten Stadt Leipzig und der einverleibten Vororte

Quelle #2: Meyers Großes Konversations-Lexikon 1905, Zeno, zum Begriff Luftschifffahrt, hier online

Quelle #3: IG Fortuna, Kino der Jugend (IG – Interessengemeinschaft), hier online

Quelle #4: Gasanstalt für die östlichen Vororte Leipzigs, Sellerhausen, hier online

Quelle #5: Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, Handelskammer zu Leipzig, 1882, Seite 59

Quelle #6: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Drescher’sche Skizzenbüchersammlung, Inventar-Nr. SK/134, lfd. Nr. S0031551, vielen Dank für die Erlaubnis diese Zeichnungskopie hier zu zeigen.

Quelle #7: Schalk, Blätter für Witz und Humor, 1879, Nr. 42, Verlag Fr. Thiel, Leipzig, online: Bayerische Staatsbibliothek

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