Das Rabet

So ein Straßenschild mit der Aufschrift Rabet habe ich erstmalig im September 1975 gesehen. Wir bekamen damals von der Abteilung Wohnungswirtschaft im Stadtbezirk Leipzig-Mitte als Absolventen unsere erste ,,Bleibe“ in der Melchiorstraße 14 zugewiesen. Das war gleich um die Ecke zum Rabet.
Was hat es mit diesem merkwürdigen Straßennamen auf sich? Das soll ein kleiner Rückblick auf Aktuelles und Vergangenes im folgenden Beitrag zeigen …

Die Straße mit dem Namen Rabet ist eine von vielen Merkwürdigkeiten im Leipziger Osten. Dabei meine ich aber die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes: merkwürdig wie das Erinnerungswürdige – heute wird eher das Sonderbare darunter verstanden. Und das passt ja auch so recht zusammen, in die Zeit der Rauhnächte zwischen den Jahren.
Sei’s drum, ich nehme mal beide Bedeutungen hier als Grundlage für die Frage, was es mit diesem mysteriösen Straßennamen auf sich hat. Und der ist zumindest deutschland- und vielleicht auch europaweit einzigartig.

Woher stammt dieser rätselhafte Straßenname, worauf bezieht er sich heute, bezog er sich früher und was gab und gibt es dazu für Deutungen oder Vermutungen?

Offizielles,
Offensichtliches aus
behördlichen Unterlagen
von Stadt und Land

Dazu schau ich zuerst in das offizielle Straßennamen-Verzeichnis der Stadt Leipzig (mit Erläuterungen) und anschließend sehn wir uns das Ganze in einem aktuellen Kartenausschnitt mal an. Der Vollständigkeit halber blicke ich abschließend in die Liste der Kulturdenkmäler vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen.

Die Straße Rabet befindet sich lt. amtlicher Verwaltungs-Unterlage [Quelle #1] im Leipziger Ortsteil Neustadt-Neuschönefeld des Stadtbezirks Ost. Zur Erläuterung des Straßennamens wird ausgeführt:

Die Bezeichnung wurde entweder vom slawischen robot (Fron) als Kennzeichnung des Wohnsitzes slawischer Leibeigener oder vom lateinischen rubetum, dem Brombeergebüsch (in Anlehnung an die wild verwachsene Beschaffenheit der Flur), abgeleitet. Gustav Wustmann trat 1889 für die Beibehaltung dieses Straßennamens ein, weil er einer der ganz wenigen richtig alten und geschichtlichen Namen in unseren Vororten sei. Seiner Ansicht nach stammt die Bezeichnung Rabet unzweifelhaft aus der Studentensprache, also das lateinische rubetum, das Brombeergebüsch. Der Rabet war ein verrufener Ort, das „Stelldichein der liederlichen Dirnen niedrigster Sorte.“

Der heutige Straßenverlauf gilt seit dem 24. Februar1890. Ein Teilstück der (früheren Neuschönefelder) Clarastraße wurde damals zur (urspründlich Volkmarsdorfer und später auch Reudnitzer) Rabetstraße gezogen, siehe nachfolgender Zeitungsausschnitt vom 2. März 1890 (links) [Quelle #2]:

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Rechts im Kartenausschnitt könnt Ihr sehen, wo sich diese Straße (der oder das Rabet?) befindet. Zur Zeit der Eingemeindung zählte das Rabet demnach 56 Gebäude. Heute sind es nur noch 29 Gebäude wie aus der aktuellen osm-Karte (oben rechts) abzählen läßt. Die Straße beginnt links an der Ecke Neustädter Straße und endet rechts an der Hermann-Liebmann-Straße.

Auf der Liste der Kulturdenkmäler stehen von der verbliebenen Bebauung 16 Gebäude, von denen acht vor 1880 gebaut wurden:

Rabet 4: ein Mietshaus in halboffener Bebauung, 1873 gebaut, Putzfassade mit Sandsteingliederung, baugeschichtlich und ortsentwicklungs-geschichtlich von Bedeutung, Kulturdenkmal mit ID-Nr. 09293560,
Rabet 12, 14, 16, 18, 20: Mietshäuser in geschlossener Bebauung, um 1870 gebaut, mit Tordurchfahrt/ Hausdurchgang, ID-Nrn. 09293564 bis 09293568,
Rabet 28 und 30: Mietshäuser in (ehemals) geschlossener Bebauung, 1877 gebaut, mit Putzfassaden, ID-Nrn. 09293570 und 09293571.
[Quelle #3]

Erkundungen,
Vermutungen
und
Beschreibungen

In der Tat, es gibt bereits viele Veröffentlichungen, die sich mit der Deutung des Leipziger Straßennamens Rabet beschäftigt haben. Das ist bei diesem eigenartigen Namen auch nicht verwunderlich – überrascht war ich allerdings, dass sich Fragen nach dem Namen Rabet sogar bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Damals ging es allerdings nicht um einen Straßennamen, sondern um eine Gelände- bzw. Flurbezeichnung im Osten von Leipzig.

Der Name Rabet /Rabeth geht demnach auf die erstmals im 16. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg (1547) nachweisbare Bezeichnung einer zwischen den ehemaligen Dörfern Schönefeld und Reudnitz gelegenen Flur von etwa 50 Hektar zurück. Ein kleiner Teil dieses Gebiets gehörte früher zur Volkmarsdorfer Flur [Quellen unter #4].
Ich komme am Ende dieses Abschnitts nochmals darauf zu sprechen.

Wegen der eher schlechter Bodenqualität wurde die Feldflur erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts als ein mit Gehölz und Gebüsch bewachsenes Ödland, unter der Bezeichnung „Rübethöltzgen“, nicht oder nur sehr wenig landwirtschaftlich genutzt.

Verschiedene Verfasser haben aus der alten Bezeichnung Rübethölzgen und dem lateinischen Rubetum, in Anlehnung an die wild verwachsene Beschaffenheit der früheren Flur, die heute übliche Deutung der Bezeichnung Rabet in Richtung Brombeergebüsch abgeleitet.
Nebenbei bemerkt gab es in der Literatur auch Hinweise und Deutungsversuche zur Bezeichnung Rabet über das slawische Wort robot (für Fron bzw. Arbeit), aus dem französisch-niederländischen Wort Rabeth (für Rabatte, Randbeet), dem mittelenglischen Wort rabet (später auch rabbit für Kaninchen) und sogar der Berggeist Rübezahl (aus dem Wort Rabet-tahl) musste dafür herhalten.
Empfehlung: Die umfangreichsten Ausführungen zum Thema ,,Rabet“ von Jörg Ludwig mit vielen Quellenangaben und Geschichten könnt Ihr online in einem Neustädter Markt-Journal aus dem Jahr 2016 nachlesen. [siehe Quelle #5]

Zum Abschluss dieses Abschnitts noch eine Beschreibung mit einer Lageskizze zur früheren Feldflur Rabet, die ich nach einer Schönefelder Flurkarte aus dem Jahr 1775 angefertigt habe.
Die Flur ,,Das Rabet“ wurde damals folgendermaßen begrenzt:
– im Südwesten durch die Volkmarsdorfer Wiesen und das Flüßchen Rietzschke,
– im Nordwesten durch die Wiesen am Fluß Parthe,
– im Norden durch den Wiesengrund eines Grabenbruchs bis zur Schönefelder Windmühle und
– im Osten durch den Weg von Volkmarsdorf nach Schönefeld.
Auf eine mögliche Bewirtschaftung in Form der Dreifelderwirtschaft verweisen die in der Skizze enthaltenen drei größeren Flurstücke mit den Bezeichnungen „Große Feldart“, „Mittel Art“ und „kleine Art“. [Quellen # 5 und #6]

_

Auf der rechten Seite habe ich zur Veranschaulichung dieses Gebiet ins heutige Stadtbild (osm-Karte von oben) eingefügt, damit Ihr mal einen Eindruck von der Größe und Ausdehnung der Fläche des früheren Rabets bekommt.

Insgesamt kommen aber in den meisten der genannten Veröffentlichungen zum Thema Rabet viele Sätze mit vielleicht, könnte und wahrscheinlich vor.
Deshalb denke ich, dass die bisherigen Rabet-Erkenntnisse nur zu Hypothesen mit überwiegend geringer Beweiskraft führen, die vielleicht auch nur vermutete Zusammenhänge ergeben …

Landeskundliche
Ergänzung und
fabelhafte
Anmerkungen

Wie schon in verschiedenen Quellen genannt, hatte das fragliche Gebiet der Flur Rabet eine eher schlechter Bodenqualität. Das läßt sich aber anhand des naturräumlichen Bodenreliefs und der geologischen Vorgeschichte im Leipziger Raum erklären.

Aus geologischer Sicht ist das Gebiet zwischen dem Parthe-Auental und der (östlichen) Rietzschke-Auenrinne durch Ablagerung von Kies und Sand gekennzeichnet. Dieser landwirtschaftlich nur schlecht nutzbare Boden stammt vom Rand der Sommerfelder (bzw. Engelsdorfer) Grundmoräne aus der Saale-Kaltzeit. [Quelle #7]

Ich nehme an, dass dieser an drei Seiten von Wasser und Sümpfen umgebene Ödlandhügel zwischen Rietzschke im Süden, Parthe im Westen und dem Grabenbruch im Norden schon seit der ersten Besiedlungszeit für die Siedler einen unwirtlichen Ort darstellte, der land- und forstwirtschaftlich nicht oder nur sehr wenig nutzbar war.
Vielleicht rankten sich auch die ein oder anderen mystischen Geschichten um diesen Ort. Und vielleicht haben die ersten Siedler dort auch einen ersten Namen, der so ähnlich hieß wie ,,Rabet“ dafür gefunden. Aber das alles ist möglicherweise im Lauf der Vorgeschichte nur Bruchteilhaft überliefert worden …

Fazit

Deshalb und etwas im Ungewissen schließe ich hier (vorerst) mit den Worten
meines früheren Leipziger Physikprofessors Werner Holzmüller:

,,Genaues weiß man nicht!“


Literatur- und Quellenverzeichnis

Literatur

eigene Skizze in Anlehnung an eine Schönefelder Flurkarte aus dem Jahr 1775

aktuelle Stadtplan-Ausschnitte vom Leipziger Osten aus der OpenStreetMap (osm)

Wikipedia-Einträge, siehe auch unter Quellen, zur Beschreibung von Begriffen und Sachverhalten

Quellen

Quelle #1: Leipziger Statistik und Stadtforschung, Verzeichnis Leipziger Straßennamen mit Erläuterungen, online hier zu finden – suche nach Rabet

Quelle #2. Leipziger Tageblatt und Anzeiger, vom 02.03.1890, Titelseite zu Straßenumbenennungen nach der Eingemeindung der Ostvororte zur Stadt Leipzig am 01.01.1890, aus dem Bestand der Sächsischen Landes und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), online hier zu finden

Quelle #3: Wikipedia, Liste der Kulturdenkmale in Neustadt-Neuschönefeld, online hier zu finden

Quellen #4: u.a. in
+ Leipzigisches Geschichtbuch, oder Annales, das ist: Jahr- und Tagebücher der weltberühmten … Stadt Leipzig, Leipzig, 1714, S. 171 oder in der
+ Illustrirte Zeitung, 14. Februar 1894, S. 140: Was man unter ,,Rabet“ versteht? oder bei
+ Wikipedia, Rabet (Park), online hier zu finden

Quelle #5: Jörg Ludwig: Rabatten, Robota, Rabetum, zur Geschichte des Rabet (Archivar im Sächsischen Staatsarchiv, Dresden), aus dem Neustädter Markt-Journal, Heft 4/2016, online hier zu finden – (Empfehlung: lest die Seiten 18 bis 23)

Quelle #6: Michael Liebmann: Schönefeld …, ein Stadtteillexikon, Pro Leipzig, 2019, S. 266 bis 268 zu Stichwort Rabet

Quelle #7: Denzner, Dix, Poroda: Leipzig, eine landeskundliche Bestandsaufnahme, Böhlau Verlag, 2015, S. 14f über naturräumliche Reliefformen und S. 24f mit einer geologischen Übersicht im Stadtraum Leipzig

persönliche Mitteilungen

  • Michael Liebmann über Neuschönefeld, alte Straßen und zur Nutzung einer alten Schönefelder Karte als Skizze zur Flur Rabet.
  • Frank Heinrich über ein Foto mit einem alten Straßenschild Rabet aus den 1990er Jahren.
  • Bert Hähne über ein Foto mit dem Straßenschild Rabet aus dem Jahr 2001.
  • Und ein paar (geflügelte) Worte von Prof. Dr. Werner Holzmüller (Uni Leipzig) aus dem Jahr 1976

Vielen Dank an alle!

2 Gedanken zu “Das Rabet

  1. Sehr aufschlußreich!
    Soeben bin ich auf einen Leipziger Jargon-Begriff aus dem 18. Jh. gestoßen: „Rabeth-Hure“. Der topographische Begriff „Hurenberg“, etwa anstelle des neuen Konsum auf obigem Plan, ist allerdings eher von Hure = überaus nasse Wiese abzuleiten.

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