… über den Consum-Verein

[Im Neustädter Markt Journal, Heft Nr. 32 im Oktober 1994 auf Seite 10 ff. erschienen.]

Historische Nachlese zu einem „Consum“-DoppeIjubiIäum

Hist-64,,KONSUM, was soll’s?!“ –
Manche mögen abwinken und denken dabei an Schlangestehen, Mangel- waren, leere Regale, Kino-KONSUM in der Eisenbahnstraße, KONSUM-Marken …   Aber, KONSUM ist nicht nur den meisten vertraute Nachkriegsgeschichte und erst recht nicht eine DDR-Erfindung, in zeitweiligen Ausartungen vielleicht. An einem der wenigen verregneten Wochenenden im Juni dieses Jahres feierte der Leipziger KONSUM auf der Rennbahn im Scheibenholz sein 110jähriges Gründungsjubiläum.

Die heutige ,,Konsumgenossenschaft Leipzig e.G.“ führt dieses Jubiläum auf die Eintragung des ,,Consumvereins für Plagwitz und Umgebung“ zurück, die am 8. Mai 1884 beim Königlichen Amtsgericht Leipzig erfolgte.

In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden vor allem im damaligen Königreich Sachsen und in Rheinland-Westfalen Consumvereine gegründet. Größere Vereine mit mehr als 250 Mitgliedern gab es nur wenige. Aus der Literatur kann man entnehmen, daß es etwa 95% kleinere Vereine gab, oft nur mit einer Handvoll Mitgliedern. Um die Verkaufsartikel möglichst billig anbieten zu können, sollte jeder Personal- und Handelsaufwand vermieden werden. Das bedeutete auch, daß oft billige Geschäftsräume in abgelegenen Seitengassen, ohne Schaufenster und Dekorationsaufwand, bevorzugt wurden.

Hist-64Parallelen zu heutige Supermärkten und Billiganbietern sind da durchaus gegeben: häufig tendiert die Verkaufskultur zum niedrigsten Niveau, die außerstädtischen Standorte lassen heute allerdings Kundennähe vermissen.

Nun aber weiter in der Leipziger KONSUM-Geschichte. Auch in der Neustadt/Neuschönefelder Gegend kam es 1889 zu einem Gründungsversuch eines Consumvereins. Damals wohnten in dieser Gegend des Leipziger Ostens etwa 16.000 Einwohner, Tendenz zunehmend. Auch die Zahl exklusiver Geschäfte nahm zu – Läden und Geschäfte mit selbstlos billigen Waren fehlten.

Die eigenständige Gründung eines Consumvereins war aber nicht so einfach. Aus dem ,,Leipziger Stadt- und Dorfanzeiger“ kann man entnehmen, daß am 4. November 1889 eine erste Einwohnerversammlung im Neuschönefelder ,,Sophienschlößchen“ zur Gründung eines eigenen Consumvereins von der Königlichen Amtshauptmannschaft Leipzig verboten wurde. Dieses Verbot resultierte sicher aus dem, von 1881 bis 1890 über das Leipziger Gebiet verhängten, kleinen Belagerungszustand im Zusammenhang mit dem Bismarck‘schen Sozialistengesetz. Schon eine ungeschickte Formulierung konnte jegliche sozialgesinnte Vereinsgründung sofort zu Fall bringen.

Ausschnitt aus einem Stadtplan, Adressbuch der Stadt Leipzig, 1896

Ausschnitt aus einem Stadtplan, Adressbuch der Stadt Leipzig, 1896

Die genannte Gaststätte ,,Sophienschlößchen“ befand sich in der damaligen Sophienstraße 33 in Neuschönefeld. Eigentümer war der Brauereibesitzer E. Bauer (Brauerei im Täubchenweg – auch heute noch/wieder). Die Straße wurde später umbenannt, das Haus trug die Bezeichnung Konradstraße 20, es wurde in den siebziger Jahren abgerissen. Grund und Boden liegen im heutigen Rabet-Park, etwa gegenüber vom Kindergarten.

Mit Hilfe des bereits bestehenden Plagwitzer Consumvereins kam es bereits im Dezember 1889 zu einemerneuten Gründungsversuch. In der Zeitung kann man über eine Einwohnerversammlung am 4. Dezembernachlesen:
,,Die heute im Sophienschlößchen tagende Einwohnerversammlung erklärt sich mit den Ausführungen des Referenten (Georg Fell, Consumverein Plagwitz und Umgebung) einverstanden und beschließt, in Folge der auch hier immer mehr steigenden Lebensmittelpreise einen Consumverein zu Neuschönefeld und Umgebung zu gründen.“
Am 13. Dezember 1889 war die offizielle Gründung des dritten Leipziger Consumvereins, nach dem Plagwitzer und Connewitzer, perfekt. In der ersten Generalversammlung im Sophienschlößchen wurden als Vorstandsmitglieder die Herren Becher, Gottschalk und Arnold aus Neuschönefeld, Herr Lehmann aus Volkmarsdorf und Herr Hesse aus Neustadt gewählt.

In diesem Jahr liegt diese Gründung also bereits 105 Jahre zurück – ein KONSUM – Doppeljubiläum!

Die erste Verkaufsstelle befand sich in der Eisenbahnstraße neben dem Bergschlößchen, gegenüber vom heutigen ,,Kino-KONSUM“. Im ersten Geschäftsjahr konnte an die 252 Vereinsmitglieder bereits eine Dividende von 4 % ausgezahlt werden.
Zwischen 1890 und 1894 verdoppelte sich etwa die Zahl der Consumvereins-Mitglieder auf 496 und der Umsatz stieg von 13.000 auf 100.000 Mark im Jahr.
Weitere Verkaufsstellen in Sellerhausen, Schönefeld und der Neuschönefelder Klarastraße (später Otto-Runki-Straße, heute auch Bestandteil des Rabet-Parks) nahmen von hier ihren Ausgang. Am 1. Januar 1898 trat der Neuschönefelder dem ,,Consumverein Plagwitz und Umgebung“ bei.

Trotz seiner damaligen Größe und Bedeutung wurde der Neuschönefelder Consumverein aber seitdem kaum in der Literatur erwähnt. Auch beim diesjährigen KONSUM-Jubiläum fehlt in den Zeitung bisher jeder Hinweis.

Leipzig im September 1994, H. Stein

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